Hl. Franz v. Sales
(1567 - 1622): Wie sehr Gott
verlangt, daß wir Ihn lieben
Obgleich die Erlösung des Heilandes uns auf so mannigfaltige Weise, als es
verschiedene Seelen gibt, zugewendet wird, so ist dessen ungeachtet die
Liebe das Universalmittel unseres Heiles, das allem beigemischt werden muß,
und ohne welches nichts heilsam ist...
Gott setzte auch die Cherubim vor den irdischen Lustgarten mit dem
“feurigen, zuckenden Schwert” (Gen. 3,24), um uns zu lehren, daß niemand in
das himmlische Paradies eingehen wird, er sei denn durchbohrt vom Schwerte
der Liebe.
Darum, Theotimus, verlangt unser süßer Jesus, der mit seinem Blut uns
erkauft hat, mit unendlicher Sehnsucht, daß wir ihn lieben, um ewig selig zu
werden, und daß wir selig werden, um ihn ewig zu lieben, da seine Liebe nach
unserer Seligkeit, und unsere Seligkeit nach Seiner Liebe strebt. “Ich”,
spricht Er, “bin gekommen, Feuer auf die Erde zu senden, und was will ich
anders, als daß es brenne?” (Luk.12,49).
Um aber die Glut dieses Verlangens noch deutlicher zu erklären, gebietet er
uns diese Liebe mit folgenden wunderbaren Worten: “Du sollst den Herrn,
deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und
aus deinem ganzen Gemüte. Dies ist das größte und erste Gebot”
(Mt.22,37-38).
Wahrlich, Theotimus! Das göttliche Herz verlangt sehnsüchtig nach unserer
Liebe. Wäre es nicht schon genug gewesen, wenn er uns erlaubt hätte, ihn zu
lieben, wie Laban dem Jakob erlaubte, seine schöne Rachel zu lieben und
durch siebenjährige Dienste zu gewinnen? (Vgl. Gen. 29). Aber nein;
deutlicher erklärt Er seine liebevolle Leidenschaft zu uns, und gibt uns die
Erlaubnis, ihn aus allen unseren Kräften zu lieben, auf daß weder die
Betrachtung Seiner Majestät und unserer Erbärmlichkeit..., noch irgend ein
anderer Vorwand uns abhielte, ihn zu lieben...
Die sichtbare Sonne berührt alles mit ihrer belebenden Wärme... Ebenso
belebt auch die göttliche Güte alle Seelen, und ermutigt alle Herzen zu
ihrer Liebe, ohne daß irgend ein Mensch sich vor ihren Strahlen bergen kann.
“Die göttliche Weisheit”, sagt Salomon (Spr. 1,20), predigt draußen, läßt
ihre Stimme hören auf den Gassen... Wie lange wollen die Toren das
verlangen, was ihnen schadet, und die Unweisen hassen die Einsicht? Bekehret
euch auf meine Warnung! Siehe, ich will euch meinen Geist offenbaren, und
meine Worte euch kundtun!”
Und dieselbe Weisheit fährt beim Propheten Ezechiel (33, 11) fort:
“...Sprich zu ihnen: So wahr ich lebe, spricht Gott, der Herr, ich will
nicht den Tod des Gottlosen, sondern daß der Gottlose sich bekehre von
seinem Wege und lebe.”
Nach Gott leben, heißt Ihn lieben, und “wer nicht liebt, der bleibt im
‘Tode” (1Joh.3,14). Siehe daher, Theotimus, ob Gott verlangt, daß wir ihn
lieben?
(Aus: Hl. Franz von Sales, Theotimus, 8. Kap.)
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