Die Gottesfrage


Katechesen (1981) von S.E. Dr. Günther Storck

Teil 10

Ich will Ihnen jetzt noch einen anderen Gesichtspunkt erschließen, der auch von großer Bedeutung ist. Das sittlich Gute, die Liebe, so können wir es auch nennen, ist der höchste Wert. Jetzt kommt etwas noch hinzu: Dieser Wert verlangt wie alle Werte von mir, dass ich ihn anerkenne, dass ich ihn bejahe, er verlangt von mir, von uns, von der Freiheit des Menschen, dass ich ihn verwirkliche! Sie sehen hier etwas was auch von höchster Bedeutung ist: Wenn ich die Frage nach Gott stelle, dann ist es nicht nur so, dass ich Gott suche und ich Gott finden will, sondern es ist schon vorgängig so, dass Gott will, dass ich Ihn suche, dass Gott will, dass ich Ihn finde!

Das ist etwas, was der Mensch sich in der Regel, solange er jedenfalls sucht, nicht klar macht: Dass Gott ihn auch sucht! Aber denken Sie nur einmal an ganz bestimmte Texte, auch der heiligen Offenbarung, wenn es in der Apokalypse heißt: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an! Wenn einer meine Stimme hört und mir öffnet, werde ich bei ihm eintreten und Mahl mit ihm halten!"(Apk.3,20).

Hier haben Sie das ganz genau: Gott kann nur zu dem kommen, Gott kann nur von dem gefunden werden, der Ihn anerkennt, der Ihn sucht! Aber wenn ich Ihn suche, dann ist dies schon die Bestätigung dafür, dass Gott will, dass ich Ihn suche, dass Gott will, dass ich Ihn auch finde! Und hier spielt das, was man religiös "Gnade" nennt, eine entscheidende Rolle!

Wenn ich die Gnade nicht annehme, wenn ich nicht auf die Gnade eingehe - ich muss zunächst noch gar nicht einmal erkennen und wissen und sehen, was und wo die Gnade wirkt, was die Gnade ist und welches Ziel sie verfolgt; das kann mir durchaus verborgen sein und ist auch sicher den meisten verborgen! - aber ich folge diesen Winken der Gnade, diesen Signalen, diesen Hilfen, diesen Hinweisen, diesen Wegführungen, diesen "Schildern", wenn ich so sagen darf - wenn ich und je mehr ich ihnen folge, um so mehr gehe ich den rechten Weg und gehe ich auf dem rechten Weg und finde auf dem rechten Weg dann auch tatsächlich Gott!

Und hier sehen Sie noch einmal etwas, was ich im ersten Vortrag schon einmal andeutete: Die Anerkennung der Wahrheit ist das Fundament überhaupt jeglicher Gottesbeziehung, jeglicher Suche Gottes! Erkenne ich die Wahrheit - und zwar unvoreingenommen und uneingeschränkt! - nicht an, dann finde ich auch Gott nicht! Ich finde eben dann, was ich suche und was ich wollte, aber eben nicht Gott.

Ich finde dann vielleicht eine Sekte, und in der Sekte eine ganz bestimmte Theorie von Gott! Ich finde dann einen sektiererischen Gott, einen Götzen! Ich finde den Gott des Islam oder ich finde den Gott des Hinduismus oder irgend einen Gott, aber nicht den wahren Gott!

Den wahren und lebendigen Gott finde ich nur, wenn ich diesen wahren und lebendigen Gott ganz uneingeschränkt, vorbehaltlos, anerkenne! Und das heißt, wenn ich eben diesen obersten Wert, den höchsten Wert, das sittlich Gute, voll und ganz bejahe, so wie das erste Gebot dies auch sagt und will!

Ich darf dies auch noch einmal religiös veranschaulichen, damit Sie darauf einen Hinweis bekommen. Man hat oft und mit Recht gesagt: Wer die heilige Jungfrau und ihre Jungfräulichkeit, ihre Keuschheit, nicht anerkennt, der kommt auch nicht zu Christus! Hier sehen Sie das, in dieser wichtigen, zentralen Frage des sechsten und des ersten Gebotes; im sechsten Gebot kommt ja nur das erste Gebot unter einer ganz bestimmten Beziehung besonders deutlich und fordernd an den Menschen heran! Anerkennt er hier nicht Gott, die Autorität Gottes, den Willen Gottes, die Heiligkeit Gottes, dann kommt er auch nicht zum wahren Gott!

Und hier sieht man etwas: Der Glaube, so wie er christlich gefordert ist, ist immer marianisch geprägt! Ich muss diese Haltung im Glauben, in der Anerkennung Gottes, diese Ganzhingabe, die die heilige Jungfrau ja gerade vollzogen hat, dieses "Ja!" der Magd des Herrn sprechen: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort!" (Lk. 1,38).

Jener Glaubensakt, der diesen Namen verdient im echten und wahrhaften Sinne, muss diese Ganzhingabe Gott gegenüber zum Ausdruck bringen! Und dann erkennt man Gott! Dann erkennt man die Erhabenheit Gottes, dann erkennt man die Heiligkeit Gottes und dann hat man Gott gerade gefunden!

Es ist traurig und beklagenswert, ja es ist sogar tief beklemmend und erschütternd, wenn man sieht, dass die Menschen Gott auf völlig falschen Wegen suchen! Es ist natürlich auch so, das weiß auch jeder, dass der Sünder immer auch noch Gott sucht, nur auf völlig falschem Wege! Und deshalb findet er Gott auch nicht!

Was muss man tun? Man muss den Weg der Sünde verlassen, man muss umkehren, nicht wahr, Sie kennen das! Der Mensch, der nicht umkehrt, der ist auf völlig falschem Weg!

Ich darf das noch einmal veranschaulichen: Man kann Gott etwa in der Natur suchen, man kann Gott so suchen, wie es der russische Astronaut in einer Äußerung einmal zu tun schien, als er sagte, er habe Gott im Weltall nicht gefunden. Kann man im Weltall Gott finden? Völlig unsinnig! - Ich kann bis zu den Sternen fahren, ich kann bis zu den allerletzten Sternen fahren, Lichtjahre weit entfernte Sterne suchen und besuchen - und finde auch dort Gott nicht.

Ich kann mir darüber Klarheit verschaffen, dass ich unendlich im Weltall reisen kann und suchen kann und Gott doch nicht finden! Warum nicht? Weil ich Ihn nicht dort suche, wo ich Ihn finden kann, nämlich in der Moral, in der Religion! - Und das heißt, ich muss umkehren! Ich darf Ihn nicht äußerlich suchen, sondern innerlich! Das ist die große Tradition, die in der Geschichte, auch in der Kirchengeschichte, die augustinische Tradition heißt. Man muss Gott innerlich suchen, im Herzen muss man Ihn suchen, und hier kann man Ihn finden, nämlich in der Anerkennung Seines Anspruchs, in der Bereitschaft, sittlich zu handeln, religiös zu handeln, den Willen Gottes zu tun! Und wenn ich den Willen Gottes tue, dann erkenne ich Gott im Herzen, in mir, innerlich!

Ich will Ihnen auch noch einen Gesichtspunkt geben, der von großer Bedeutung ist: Im Allgemeinen sagen die Menschen ja, das ist wirklich, was ich sinnlich wahrnehme, was ich tasten, riechen, schmecken, sehen, hören kann. Überlegen Sie einmal: Kann man die geistigen Realitäten, die nicht ausgedehnt sind, die nicht sinnlich wahrnehmbar sind, die aber doch wirklich sind - kein Mensch würde etwa an der Tatsache seines Gedächtnisses zweifeln! - kann ich dieses Gedächtnis tasten, sehen, hören, riechen, schmecken? Unmöglich! Aber trotzdem würde man nicht zweifeln, dass man ein Gedächtnis hat! Wie hätte man sonst eine Beziehung zur Vergangenheit?

Jetzt einmal sehen wir auf den Punkt, an dem wir stehen: Wenn man Gott erfasst dadurch, dass man moralisch handelt, dass man erkennt, es gibt - in meinem Gewissen erfahre ich es - den Willen Gottes, ich soll so und so handeln, ich soll nicht die Lüge sagen, ich soll nicht einwilligen in einen Mord, ich soll nicht den Ehebruch vollziehen, ich soll nicht etwas stehlen, ich soll nicht die Ehre eines Menschen verletzen, und so weiter -: Sehe ich diesen moralischen Willen sinnlich oder rieche ich ihn, schmecke ich ihn, höre ich ihn? Alles das kann man nicht sagen! Und trotzdem weiß ich, es ist Gott wohlgefällig!

Es gibt eine andere Realität, nicht die sinnliche, sondern die übersinnliche oder die nicht-sinnliche, das ist die geistliche Realität, das, was wir den Himmel nennen in der Gegenwart Gottes, die Gemeinschaft mit Gott, alles das, was wir im Herzen sehen und erfahren! Diese Welt ist real! Sie ist viel realer, als die äußere Welt!

Wenn ich im Herzen mit Gott eins bin, dann bin ich befriedet, dann bin ich erfreut, dann frohlocke ich vielleicht sogar, dann juble ich! Wenn ich äußerlich gewisse Erfahrungen der Freude mache, die sind längst nicht so tief, nicht wahr? Wenn mir jemand Geld schenkt, das mag durchaus eine Freude sein, ein Vorzug sein, eine Hilfe sein, vor allem, wenn es aus Liebe geschieht. Dann ist aber gerade dieser Liebeserweis das Entscheidende, nicht wahr?

Denken Sie einmal, ein Vater, eine Mutter können sich sehr tief darüber freuen, wenn ein kleines Kind eine Zeichnung macht! Das ist materiell sehr wenig, vielleicht geradezu nichts, aber als Ausdruck der Liebe, als Zeichen der Liebe kann das überaus wertvoll und kostbar sein! Eben weil die Liebe es tut! Weil das Liebeszeichen das Entscheidende ist! Hier sehen wir wieder die verschiedenen Welten, die rein materielle, rein äußerliche, rein vordergründige Wertwelt, und die höhere Welt der geistigen Realitäten, der geistlichen Realität, die Welt der Liebe!

Ich denke, sie haben mich verstanden! Ich habe vieles vielleicht auch nur in Andeutungen gesagt... Ich möchte Ihnen nur gewisse Hinweise, gewisse Hilfen geben, gewisse Anstöße, die Ihnen zeigen, was mit der christlichen Gottesvorstellung gerade gemeint ist und wer dieser christliche Gott ist!

Und vor allem darf Ihnen zum Schluss vielleicht noch einen Gesichtspunkt geben: Sie sehen natürlich bei der Betrachtung dieser Sachverhalte, dass Gott ein Gott ist, den man erkennen kann. Die ganze Gottesfrage zu stellen und zu lösen, hätte gar keinen Sinn, es wäre ganz sinnlos, die Frage nach Gott zu stellen, wenn ich Ihn nicht erkennen könnte, wenn ich Ihn nicht erfahren könnte, wenn ich keine Gemeinschaft mit Ihm haben könnte!

Und denken Sie noch einmal an das, was ich eben zu sagen versuchte: Gott will ja gerade, dass ich Ihn finde! Gott will gerade, dass ich Ihn erkenne! Gott will, dass ich Ihn anerkenne, Gott will, dass ich Gemeinschaft mit Ihm finde!

Wäre Gott ein willkürlicher Gott oder ein verborgener Gott, dann könnte ich Ihn nicht finden. Dann wäre es gerade mein Kreuz, dass ich im Dunkeln tappe und dass ich aus dem Dunkel nicht zum Licht komme.

Das Entscheidende ist aber gerade: Wenn Gott will, dass ich Seinen Willen erfülle, wenn Gott will, dass ich Ihn liebe, weil Er mich liebt und weil Er in der Liebe die Verbindung mit Ihm will, den Bund - wir sprechen ja im Religiösen, denken Sie an das Alte Testament, an das Neue Testament, gerade vom Bund, das ist ja das Zentrum der religiösen Realität, dass Gott mit mir eine Verbindung eingehen will, dass Gott mit mir eine Gemeinschaft eingehen will - die Propheten haben es geradezu eine "Ehe" genannt, mit völligem Recht, so dass jede Verletzung des Willens Gottes einen Ehebruch darstellt, so weit geht das! -, dann sehen Sie: ich soll gerade die Gemeinschaft mit Gott haben und natürlich auch die Erkenntnis Gottes, die mir erst ermöglicht, mich Gott völlig hinzugeben! An einen Gott, den man nicht erkennen kann, dem man misstrauen muss, kann man sich natürlich nicht hingeben: Er ist nicht Vater, er ist nicht die Liebe!

Aber je mehr ich Ihn liebe, um so mehr entdecke ich eben, dass Gott mit Recht dieses Vertrauen genießt, das ich Ihm schenke! Und dass Er das Vertrauen nie missbraucht! Er ist mein Vater! Und je mehr ich Ihn liebe, um so mehr entdecke ich auch, dass Er mein Vater ist, dass Er meine Hingabe nicht missbraucht und enttäuscht, im Gegenteil, dass Er sich in schwierigsten Situationen als Vater erweist!

Denken Sie nur an das, was Israel bei der Herausführung aus Ägypten erfuhr, dieses Wunder der Gnade und der Führung Gottes beim Zug durch die Wüste und bei der Durchführung durch das Rote Meer! Denken Sie einmal im Neuen Testament, das ist ja die Mitte, an die Auferstehung Jesu Christi! Jesus Christus, der Sohn Gottes, der das Kreuz auf sich genommen hat im Gehorsam gegenüber dem Vater, Er ist nicht im Tode geblieben, Er ist auferweckt worden, Er ist auferstanden! Gott hat sich Seiner angenommen und Gott hat Ihn erhöht! Und Er thront als der Herr im Himmel und macht sich die Feinde untertan!

Hier wollen wir schließen. Wir wollen beim nächsten Mal noch besonders auf die Erkenntnisfrage eingehen, das ist der zweite Gesichtspunkt, und von der Offenbarung sprechen. Offenbarung heißt ja gerade, dass Gott sich mitteilt, so dass ich Ihn als Gott erkennen kann. Uns wir wollen gerade die Zuordnung von Schöpfung und Offenbarung hier in den Blick nehmen, damit wir sehen, wie sehr das gerade nach dem Heilsplan Gottes aufeinander abgestimmt ist: Gott schafft den Menschen, Er erschafft ihn als Geist, als Ebenbild Gottes heißt das, und als Ebenbild Gottes kann er Gott erkennen und kann er, wenn Gott sich offenbart, Ihn auch in Seiner Offenbarung erkennen, so dass man, wenn Christus erscheint, man Ihn tatsächlich als Sohn Gottes erkennen kann und dass man auf Seine Liebe eingehen kann und den Bund mit Ihm schließen kann, der ja, wie ich schon sagte, das Zentrum des ganzen Glaubensaktes und der religiösen Realität ist.

Und schließlich, beim übernächsten Mal, müssen wir noch auf die Frage nach der Schöpfung und auf den Erklärungsgrund für die Schöpfung eingehen, das, was für die meisten Menschen - leider, muss man sagen - das fast einzig Interessante an der Gottesfrage ist. Es ist nicht das eigentlich Interessante. Wir werden dann sehen, warum der Mensch darauf kommt, nicht im Wissenschaftlichen, in naturwissenschaftlichen Erklärungen, die das gar nicht leisten können, was sie leisten sollen oder müssten, sondern im echten Glauben den Grund dafür findet, zu sagen: Gott allein ist der Schöpfer des Himmels und der Erde! Amen!
 

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen!

(Fortsetzung folgt)

 

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