Die Gottesfrage

Katechesen (1981) von S.E. Dr. Günther Storck


Teil 15

Und ich will jetzt noch einmal den wesentlichen Unterschied darlegen, der zwischen der Erkenntnis der normalen Dinge und der Erkenntnis Gottes besteht. Ich habe es beim letzten Mal schon gesagt. Man könnte sagen, die Erkenntnis der Dinge, die ich im Lichte, in der Helligkeit des Lichtes sehe, bietet mir eine Einsicht. Ich nehme das und das und das wahr, etwa einen Menschen, einen Baum, einen Strauch, die Gesetze oder die Erkenntnis der Sternenwelt, die astronomischen Gesetze, die physikalischen, die biologischen, die chemischen Gesetze. Aber immer liegt hier nicht die Erkenntnis der Wahrheit, die Erkenntnis des Lichtes selbst vor, sondern nur die Erkenntnis von Dingen, von Fakten usw. Sie bieten mir eigentlich immer nur Anschauungen oder Ansichten, aber nie im Unterschied dazu die echte Erkenntnis, die Einsicht! Erst dort, wo ich Gott erkenne, wo ich die Wahrheit Gottes selbst sehe, wo ich das Licht der Wahrheit selbst sehe, erkenne ich etwas als Einsicht! Hier habe ich eine echte Offenbarung (im Sinne eines echten und untrügerischen Erkennens Gottes - Anm.)! Die Offenbarung Gottes nämlich selbst, was ich bei den Dingen gar nicht habe!
Die Einsicht ist eine Offenbarung, und hier liegt der entscheidende Unterschied! Ich erkenne Gott so, wie Er (Seiner sittlichen Qualität nach - Anm.) in sich ist! Hier liegt der entscheidende Unterschied. Bei der normalen Wahrnehmung, bei der normalen Erkenntnis kann ich immer sagen: Ja, ist es denn wirklich so, ist es wahrhaft so, werde ich nicht getäuscht? Und keiner kann sicher sein, dass er nicht getäuscht wird. Das führt ja auch immer wieder dazu, dass Wissenschaftler oder Menschen ihre Auffassungen korrigieren müssen, dass sie nach tieferen, nach genaueren Beobachtungen sagen müssen: Nein, so wie ich es früher dargestellt habe, ist es nicht richtig. Jetzt habe ich die rechte Auffassung. Um dann vielleicht doch auch darauf hingewiesen zu werden, dass diese „rechte Auffassung“ doch wieder korrigiert werden muss, weil andere Erkenntnisse, andere Voraussetzungen hinzutreten, die diese Wahrnehmung, diese Auffassungen wieder verändern müssen.
Bei der (tatsächlichen - Anm.) Erkenntnis des (wahren - Anm.) Gottes ist keine Täuschung möglich, ist kein Irrtum möglich! Hier sehe ich ja Gott, wie Er ( sittlich „qualitativ“ - Anm. ) ist! Hier habe ich eine echte Einsicht in das Wesen Gottes selbst! Gott offenbart sich mir so, wie Er in sich ist. Und das ist ja das Wesen der Liebe - so könnte ich es auch darstellen von der sittlichen Seite her: Gott täuscht nicht, warum nicht? Weil Er die absolute Liebe ist, Er ist der Gute, Er ist in sich nicht verschieden von dem, wie Er sich äußert, wie Er sich offenbart.
Und erst dann, ich sagte es schon, wenn ich diese Offenbarung Gottes habe, diese Erkenntnis der Offenbarung Gottes habe, ist mein Suchen, ist mein Streben nach Gewissheit beruhigt! Hier kann ich sicher sein, dass ich wahren Grund habe, einen Grund, einen Felsen, der mich nicht täuscht, das ist ja das Entscheidende! In allen anderen Fällen kann ich diese Sicherheit gerade nicht haben!
Und wenn ich nun wach bin, und nicht einfach mehr willkürlich Grenzen ziehe, ist mein Geist auch immer wieder unruhig. Denken Sie an das schöne Wort des heiligen Augustinus: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in Dir!“ (Augustinus, Bekenntnisse, Erstes Buch), weil Gott die absolute Wahrheit, die absolute Liebe, das absolute Licht selbst ist! Erst hier kommt der Geist zu seiner Erfüllung, hier findet er den Fels, hier findet er die absolute, nicht täuschende, nicht trügende Wahrheit!
Machen Sie sich das vielleicht auch einmal für das moralische Handeln, auch für das religiöse Leben klar! Das ist der Grund, der mir erlaubt und ermöglicht, absolute Überzeugungen zu haben.
Denken Sie einmal daran, wie Naturwissenschaftler, die sich für die Frage der Entstehung der Welt unterhalten oder danach forschen, welche Ergebnisse sie bekommen. Im Grunde ist es sehr wenig, kläglich wenig! Der religiöse Mensch, der moralisch lebt, der eine Beziehung zu Gott hat, der weiß: Mit der Erkenntnis Gottes hat er eine absolut untrügliche Antwort!
Und hier braucht er nicht zu zweifeln, weil Gott sich ihm wahrhaft offenbart und weil er erkennt: Gott liebt mich und täuscht mich nicht, in Gott habe ich eine absolute Gewähr, dass es so ist, wie ich es sehe!
Das ist die echte Einsicht, und diese echte Einsicht – ich darf das einmal ganz grundsätzlich sagen – ist es gerade, die den Menschen zum Geiste macht! Hätte er diese Einsicht nicht, wäre er nicht wahrhaft Geist! Er könnte ja die Wahrheit selbst überhaupt nicht erkennen, und könnte er die Wahrheit nicht erkennen – hier sehen Sie die gewaltige Konsequenz, die das hat – könnte er auch andere Wahrheiten natürlich nicht erkennen!
Hier sehen Sie einen Sachverhalt, der ganz erheblich ist: Wenn ein Mensch sagt, es gibt Gott nicht, aber ich kann natürlich andere Wahrheiten erkennen, etwa dass 2 x 2 = 4 ist, oder dass heute ein schöner Tag ist, dass ich lebe usw. Ich kann ihm immer wieder klar machen: In jedem dieser Urteile, in jeder dieser Äußerungen, in jeder dieser Wahrnehmungen ist die Wahrheit vorausgesetzt und muss er die Wahrheit Gottes und Gott damit voraussetzen! Ohne die Wahrheit, ohne Gott ist überhaupt Geist nicht möglich!
In der Offenbarung des Alten Bundes wird das sehr schön und wesentlich mit dem Stichwort zum Ausdruck gebracht, der Mensch sei Ebenbild Gottes (vgl. Gen. 1,26f.)! Sie sehen hier etwas ganz Grundlegendes für die christliche Offenbarungsreligion und –theologie: Die Auffassung: gibt es einen Menschen, ist notwendig damit Gott und der Bezug dieses Menschen, die Erkenntnis des Menschen von Gott vorausgesetzt! Der Mensch ist Ebenbild Gottes! Und anders kann er gar nicht in Wahrheit gedacht werden! Etwas ganz Wesentliches, wenn wir die Lehren der Offenbarung, sofern sie für unsere Thematik wichtig sind, später behandeln wollen, immer wieder gebrauchen lernen. Diese Voraussetzung ist eine eherne Voraussetzung, die wir auf keinen Fall aufgeben dürfen!
Ich will Ihnen noch einmal an einer Form der modernen Theologie nahe bringen, wohin es führt, wenn man diese Voraussetzung aufgibt. Die wahre Voraussetzung heißt: Der Mensch kann nur erfasst werden als Ebenbild Gottes, also unter der Voraussetzung, dass er einen lebendigen Bezug zur Wahrheit hat. Und das heißt gerade auch Theologie. Denken Sie jetzt einmal daran, was Rahner zum Wesentlichen, zur wesentlichen Mitte seiner Theologie macht. Er sagt nämlich: Theologie ist Anthropologie, Theologie ist die Lehre vom Menschen! – Hier sehen Sie, wenn das so aufgefasst wird, wenn Theologie nicht mehr aus dem Bezug des Menschen zur Wahrheit gewonnen wird, wenn Theologie gleich Lehre vom Menschen ist, dann spielt der Bezug des Menschen zu Gott gar keine wesentliche Rolle mehr! Und dann kann man unter Absehung dieses Bezuges des Menschen zu Gott gerade und wesenhaft Theologie, als Lehre vom Menschen nämlich, treiben! Diese Auffassung hat eine Voraussetzung, die aus der falschen, gefährlich falschen Lehre des Philosophen Hegel sich ergibt. Eine Konsequenz, die vor allem Feuerbach gezogen hat. Dieser Autor, der auch wesentliche Einflüsse auf den Marxismus und Kommunismus hatte, lehrt ja, nicht dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist, sondern dass Gott ein Ebenbild des Menschen sei! Hier haben Sie den wesentlich verschiedenenartigen und widersprüchlichen Ansatz! – Dann ist die Auffassung, dass es Gott gebe und dass der Mensch einen Bezug zu Gott habe, gerade nur eine Projektion, die der Mensch macht, weil er nicht in der Fülle, der Lebenserfüllung lebt! Das ist ja die Auffassung: Weil er unvollkommen lebt, weil es ihm schlecht geht, sagen wir mal, weil er unter den Produktionsverhältnissen leidet, macht der Mensch sich eine Vorstellung, eine Projektion vom idealen Leben, und dieses Leben nennt er eben „Gott“ oder das „Paradies“ oder wie immer man es nennen will.
Sie sehen, hier wird Gott das Ebenbild des Menschen, nicht mehr ist der Mensch Ebenbild Gottes. Und das ist mehr oder weniger für die ganze moderne „Theologie“ und für die ganze moderne Wissenschaft die Grundvoraussetzung. Es gibt gar keine echte, lebendige Wahrheit, es gibt gar keinen echten, lebendigen Bezug des Menschen zur Wahrheit, sondern es gibt nur Auffassungen, die der Mensch hat, von denen er sich einbildet, sie seien wahr, aber diese Einbildung kann man eben, wenn man nur „aufgeklärt“ genug ist, durchschauen, und dann entdeckt man, dass es sich nur um „Projektionen“ handelt. Jeder Mensch erhebt schließlich Anspruch auf Wahrheit und keiner hat sie!
Und dann, wenn es so wäre, wären wir völlig abgeschnitten von der Wahrheit, hätten wir keinen Bezug zu Gott, hätten wir keine Möglichkeit, mit Gott in Gemeinschaft zu treten, gäbe es keine echte Erkenntnis, gäbe es vor allem kein sittliches Handeln, gäbe es keine Moral und gäbe es nicht die Gemeinschaft mit Gott im religiösen Leben!
Sie sehen hier die gefährlichen Voraussetzungen, die alle in philosophischen Grundentscheidungen ihre Wurzeln haben! Hier wird sichtbar, wie sehr das moderne Leben wahrhaft abgeschnitten ist von Gott! Und hier wird ebenso sichtbar, wie es abgeschnitten ist von Gott und vom göttlichen Leben, vom Leben mit Gott und der Gemeinschaft mit Gott! Dann wird ein solches Leben wahrhaft zur Hölle! Und wir erfahren ja heute diese Offenbarung der Hölle, die Ausweglosigkeit, die Sinnlosigkeit, immer deutlicher! Aber das ist zugleich, religiös gesprochen, von Gott her gesehen, die Strafe dafür, dass der Mensch sich von Gott abgewandt hat, dass er nicht mehr den Weg der Umkehr geht, der Zuwendung zu Gott, den Weg des Lebens, sondern dass er den Weg des Todes, den Weg der Sünde, gerade absolut gesetzt hat! Hier haben Sie die eigentliche Erklärung dafür, wie das moderne Leben zustande kommt und wie sich die Elemente dieser modernen Anschauung gebildet haben, gerade in der Abwendung von Gott, in der Abwendung vom religiösen und moralischen Leben mit Gott!
Je mehr ein Mensch diesen Weg geht, umso weniger kann er umkehren. Das hat furchtbare Folgen! Und wir müssen damit rechnen, dass der Mensch immer entschiedener wird im Bösen! Und das heißt ja, dass er den Weg der Umkehr letztlich nicht mehr will und letztlich auch gar nicht mehr wollen kann.
Je mehr die Sünde geliebt wird, um so mehr wird sie zur Verstocktheit und zur Verblendung! Denken Sie einmal an die große Aussage des heiligen Apostels im zweiten Thessalonicherbrief im zweiten Kapitel: Weil sie (Menschen, die verloren gehen) die Liebe zur Wahrheit, die sie retten sollte, sich nicht zu eigen gemacht haben, überlässt sie Gott der wirksamen Kraft der Verführung, dass sie der Lüge Glauben schenken (vgl. 2Thess2,10f.) an Stelle der Wahrheit.
Ich möchte hier heute enden. Ich denke, ich habe Ihnen vielleicht manchen Hinweis geben können, den Sie meditieren. Beim nächsten Mal wollen wir dann in der Thematik weiter gehen und wollen dann schließlich, nachdem wir die spezifisch christlich-religiösen Voraussetzungen und ihre Anwendung für die Thematik, die uns beschäftigt, gerade gegeben haben, uns schließlich, und das soll der Abschluss sein, der Frage zuwenden, wie man erkennen kann, dass Gott die Welt erschaffen hat.
Aber zunächst möchte ich all die Äußerungen über Schöpfung, Offenbarung, auch Inkarnation und Trinität, die ja die wesentlichen Aussagen der Offenbarung zur Gottesfrage darstellen, Ihnen vortragen.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.
Gelobt sei Jesus Christus in Ewigkeit! Amen.

(Fortsetzung folgt)

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