Die Gottesfrage

Katechesen (1981) von S.E. Dr. Günther Storck

Teil 2

Jetzt will ich noch eine ganz wesentliche Voraussetzung machen, die wir am Ende auch bewahrheitet finden werden. Es ist ja völlig klar, wenn ich die Wahrheit suche, wenn ich die Erkenntnis der Wahrheit suche, dann muss Gott doch erkennbar sein! Wäre Gott nicht erkennbar, wäre er als die Antwort auf diese Fragen, die ich anschnitt, nicht auffindbar, dann wäre ja alles umsonst! Dann wäre der ganze Weg, die ganze Mühe, die ganze Anstrengung umsonst!

Wenn man, wie bestimmte Theologen, - ich erwähne nur als Beispiel Luther, da sehen Sie die ganze Fragwürdigkeit der Auffassung Luthers - , wenn man sagt, Gott ist nicht erkennbar, dann wäre diese ganze Bemühung sinnlos. Wenn Luther recht hätte mit seiner Theorie, dass die Vernunft eine "Hure", eine "Dirne" ist, die jede mögliche Auffassung annimmt, aber nicht die Wahrheit erkennen kann, dann wäre es unsinnig und überflüssig, Gott zu suchen und die Wahrheit auf die Fragen, die wir suchen und brauchen, herauszubringen. Völlig klar!

Aber denken Sie einmal an den Widersinn bei Luther. Er sagt, Gott ist nicht erkennbar! Das heißt, die Wahrheit ist nicht erkennbar! Wenn Luther aber sagt, er präsentiere der Öffentlichkeit das wahre Evangelium, dann muss ich doch wenigstens soviel erkennen können! Wollte Luther das nicht sagen, dann dürfte er überhaupt nichts mehr sagen.

Sie sehen etwas ganz Wesentliches hier: Jeder, auch der, der leugnet, dass es eine Wahrheit gibt, der muss sie annehmen, der muss sie voraussetzen! Denn, wenn er sagt, es gibt keine Wahrheit, dann sagt er schon implizit, einschlussweise:

Es ist wahr, dass es keine Wahrheit gibt!

Etwas ganz Wesentliches!

Sie finden den Widerspruch in allen möglichen Formen! Wenn man etwa sagen wollte:

Die Wahrheit gibt es schon, aber ich kann sie nicht erkennen, woher weiß ich dann, dass es sie gibt?

Ich könnte diese Aussage gar nicht machen!

Und hier sehen Sie schon, dass wir mit den Voraussetzungen, die wir gemacht haben, auf rechtem Wege sind! Wir wollen die Wahrheit, Gott! Und wir wollen sie erkennen! Bestünde sie nicht, dann brauchten wir uns nicht um sie zu bemühen, könnten wir sie nicht erkennen, auch dann wäre eine Bemühung unsererseits völlig überflüssig!

Ich will Sie jetzt einmal hinweisen:

Was suchen wir, wenn wir die Wahrheit suchen? - Wir suchen nicht nur eine Frage, die man so formulieren könnte:

Woher kommt die Welt?

Im Allgemeinen meinen die Menschen, das sei die entscheidende Frage. Das ist nicht die entscheidende Frage! Das ist eine entscheidende Frage, das ist richtig, dass man das Rätsel zu lösen versucht: woher kommt die Welt?

Ich will Ihnen auch noch einen Hinweis darauf geben, dass diese Frage durch die sogenannten Naturwissenschaften überhaupt nicht gelöst werden kann, obwohl die meisten Leute meinen, nur durch die Naturwissenschaften sei sie lösbar! - Wenn ein Naturwissenschaftler etwa erklärt: die Welt kommt aus der Materie, oder: die Welt kommt aus dem Atom, oder: die Welt kommt aus einem "Urknall", oder wie immer man die Antwort auf diese Frage geben mag, immer kann ich und immer muss ich sogar fragen: Woher kommt das Ur-Atom, woher kommt die Ur-Materie, woher kommt der Ur-Knall?

Diese Frage oder die Antwort auf eine derartige Frage stellt notwendig eine weitere Frage, nämlich nach dem Ursprung dessen, was ich als Erstes ansetze!

Sie sehen, die Glaubensannahme, dass Gott die Welt erschaffen habe - ich füge dies jetzt nur ein zur Erläuterung - , diese Glaubensaussage ist eine Antwort, welche die Wissenschaft überhaupt nicht erreicht! Denn im Bereich dieser sinnlichen Welt kommt Gott gar nicht vor! Das ist völlig klar!

Diese Glaubensaussage ist eine Aussage der Offenbarung, die deshalb auch von der Wissenschaft gar nicht nachprüfbar ist und der wissenschafltichen Aussage völlig überlegen ist! Wir wollen jetzt auch nicht einfach sagen: So ist es! Sondern wir wollen auch, wenn wir die Antwort auf die Frage geben: Woher kommt die Welt?, auch fragen, warum es so ist. Warum diese Aussage des Glaubens völlig gerechtfertigt ist.

Wenn wir die Gottesfrage stellen, wenn wir die Bedeutung der Gottesfrage zu klären suchen, dann fragen wir gewiss auch: Woher kommt die Welt? Woher komme ich? Woher kommt alles, was ist?

Aber es ist noch eine Frage. Ich will Ihnen zunächst den Horizont dieses Themas noch etwas umreißen. Eine ganz wichtige andere Frage ist, ob es denn überhaupt Gott gibt und ob ich Ihn überhaupt erkennen kann. Wir haben eben gesagt: Das setzen wir voraus, und es ist sinnvoll, das vorauszusetzen. Jetzt wollen wir nicht nur diese Voraussetzung machen, sondern auch erkennen, ob diese Voraussetzung zu Recht gemacht ist.

Eine dritte, weitere, sehr wichtige Frage ist die Frage: Gibt es überhaupt eine echte Moral? Das heißt: Gibt es die Wahrheit des sittlichen Wollens? Das, was ich erlebe, sagen wir, wenn ich vor das Problem gestellt bin, die Wahrheit zu sagen oder zu lügen. Ist der Anspruch, den ich in meinem Gewissen erfahre, dass ich die Wahrheit sagen soll, wirklich gerechtfertigt? Oder ist das nur, wie manche Menschen heute sagen - und vielleicht sogar viele sagen - Kultureinfluss, Sache der Erziehung? Und das heißt im Grunde: Ist die Moral absolut, das heißt: Ist das moralische Wollen von Gott gefordert, absolut, oder ist es nur eine Vorstellung, eine Meinung, ein Privatinteresse der Menschen, die vielleicht dies wollen oder das? In der Ideologiekritik entlarvt man alle diese moralischen Interessen, und man sagt vielleicht, die Kirche hatte das Interesse, sagen wir mal, die Macht der Besitzenden zu etablieren und zu garantieren, und hat damit die Armen ausgebeutet und vertröstet auf ein Jenseits. Die Religion und deren Moral steht also nach dieser "Ideologiekritik" nur im Dienste eines kapitalistischen Systems. Wenn es so wäre, völlig klar, gibt es überhaupt gar keine Moral.

Moral heißt eben, dass hier ein Wille, und zwar der Wille von Gott her, vorliegt, den ich beachten muss und den ich beachten soll, und nicht mein Eigenwille, an dessen Stelle eben auch eine andere Macht treten kann; die Macht der Besitzenden, die Macht der Herrscher, die Macht der Unterlegenen irgendeiner Gruppe. Das alles hat mit Moral nichts zu tun.

Sie sehen hier noch einmal die Entlarvung dieser Äußerung von Rahner, das Kriterium der Moral sei der Wille des Menschen, sei der Mensch. Das erinnert fatal an die Auffassung der Sophisten im alten Griechenland, die gesagt haben, der Mensch ist das Maß aller Dinge. Genau darauf läuft diese These Rahners hinaus. Das hat natürlich mit Religion, mit Moral, mit Gotteslehre, überhaupt nichts mehr zu tun, ich sagte es schon.

Wir müssen also, wenn wir die Gottesthematik aufgreifen wollen, mit der Gotteslehre, mit der Gottesauffassung drei wesentliche Fragen klären. Einmal die Frage nach dem Ursprung von allem, was ist. Dann die Frage nach dem Ursprung der Wahrheit. Und, damit zusammenhängend - Ursprung der Wahrheit und Erkenntnis der Wahrheit - die Frage nach dem moralischen Willen, nach dem moralischen "Soll". Ist es vom Menschen, kommt es vielleicht aus seiner Anlage, aus seiner Erziehung, aus seiner Umwelt, aus seiner milieubedingten Sphäre, oder offenbart sich hier wirklich der Wille Gottes, den ich deshalb, weil es der Wille Gottes ist, auch beachten muss und dem ich deshalb auch folgen muss?

Ich will auch jetzt auf etwas noch besonders hinweisen. Es ist ja völlig klar, Sie können sich das auch klar machen etwa an der Frage der Moral: Wenn hier die Frage zur Debatte steht, darf man einen Ehebruch vollziehen oder nicht, ist der Ehebruch erlaubt oder nicht, dann erfordert die Klärung dieser Antwort natürlich eine moralische Voreinstellung.

Wenn ich etwa sage oder erkläre, der Ehebruch ist erlaubt, dann kann ich natürlich diese Frage "Ist der Ehebruch erlaubt oder nicht?", gar nicht unbefangen, gar nicht objektiv, das heißt gar nicht wahrheitsliebend beantworten. Denn dann erkläre ich ja, er ist erlaubt, weil ich ihn praktiziere.

So darf man natürlich an diese Fragen gar nicht herangehen. Denn dann entdeckt man nicht die Wahrheit, dann findet man nicht die Wahrheit, sondern nur sich selbst!

Sie sehen hier, wie wichtig die Reinigung des Blickes ist! Wie wesentlich die Reinigung des Herzens ist, wenn ich das so sagen darf! Es gibt eine große Tradition, die in einem sehr schönen Wort von Angelus Silesius ihren Niederschlag findet, der einmal gesagt hat: Wäre nicht das Auge sonnenhaft, so könnte es die Sonne nicht sehen!

Ich darf es noch einmal auf unsere Bemühung beziehen. Sie sehen völlig klar: Die Antwort auf unsere Fragen finden wir nur unter der Voraussetzung, dass wir uns völlig reinigen! Wer nicht moralisch handelt, wer die Wahrheit nicht will oder wer sie für "unauffindbar" erklärt, wer sagt, die Frage nach dem Grund, dem Ursprung etwa der Welt ist überhaupt nicht zu stellen, sie ist gar nicht zu lösen, der schließt sich von vornherein aus. Der entdeckt die Wahrheit nicht!

Und hier sehen wir eine ganz fundamentale Voraussetzung, die auch für den Glauben besteht: Wenn ich nicht glaube, habe ich auch keine Erkenntnis vom Christentum! Wenn ich nicht das Evangelium Christi annehme im Gehorsam, das heißt ja Glauben, kann ich nicht erkennen, dass Christus der Sohn Gottes ist!

Sie sehen hier eine ganz wesentliche Vorbedingung, die der Einzelne erfüllen muss, die der Einzelne realisieren muss, bevor er überhaupt sich auf die Suche machen kann und das Ergebnis dieser Bemühung auch findet! Nämlich, wir müssen uns völlig rein machen, wir müssen uns heiligen in der Wahrheit! Hier sehen Sie: Der, der die Wahrheit sucht, er setzt sie im Grunde schon voraus! Denn es ist ja völlig klar: Wenn ich überhaupt nicht wüsste, was ich suche, dann könnte ich es gar nicht suchen! Das ist völlig klar!

Wenn Sie nicht wissen - nehmen sie im Alltag irgendeinen Vorgang, Sie suchen z.B. einen Brief, ja, Sie wissen schon davon, was Sie suchen, völlig klar! Hätte man nicht ein Bewusstsein dessen, was man sucht, man könnte es gar nicht suchen, man könnte es auch nicht finden!

Denn man wüsste ja nicht, wenn man es gefunden hätte, dass es das ist, was man sucht, nicht wahr! Ganz wesentlich! Das ist nur scheinbar widersprüchlich und rätselhaft! Im Grunde zeigt es die überragende Bedeutung der Thematik an, von der wir sprechen! Die überragende Bedeutung der Gottesfrage für jedes menschliche Sein!

Ich darf auch hier noch einen Vorgriff machen: Wenn Gott nicht diese Bedeutung hätte, die wir vielleicht erahnen, die wir erst deutlich auszumachen suchen, dann würde sich diese Frage gar nicht, vielleicht so quälend, vielleicht so interessant, uns auferlegen! Dann würden wir eben anderen Dingen nachgehen und würden uns gar nicht auf diese Thematik einlassen! Diese Fragestellung zeigt schon, welche Bedeutung diese Antwort hat!

Ich will aber noch einmal darauf zurückkehren, was ich Ihnen andeutete. Wir müssen uns völlig reinigen! Wer das nicht tut, der entdeckt Gott auch nicht! Der findet Gott auch nicht, Gott an sich, sondern der findet nur das, was er gewollt hat! Suche ich Gott, will ich Gott und Ihn allein, dann finde ich Ihn auch! Will ich nicht Gott, sondern vielleicht nur eine Sonderrechtfertigung meiner Thesen, meiner Theorien, vielleicht der moralischen Theorien, ja dann finde ich eben nicht Gott, sondern nur dieses Resultat! Wenn ich, sagen wir, die Erlaubtheit der Unzucht nachweisen will, dann sage ich, es gibt überhaupt nicht Gott, man kann Ihn überhaupt nicht erkennen, die einen Menschen handeln so, die anderen so, der eine praktiziert die Unzucht, hat ein gutes Gewissen dabei, ist glücklich dabei, da sieht man doch, es ist alles relativ! Nicht wahr, so argumentiert eben der, der die Unzucht durchsetzen und realisieren will.

Von all diesen scheinbar und auch tatsächlich möglichen, scheinbar gerechtfertigten, in Wirklichkeit aber nicht berechtigten Voraussetzungen müssen wir uns befreien! Und hier sehen wir, wie sehr die Liebe zur Wahrheit die Voraussetzung ist!

(Fortsetzung folgt)


 

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