Heiliges Land - Palästinensische Christen zwischen allen Fronten


Unter den Israelis leiden sie aufgrund ihrer Nationalität, unter den Landsleuten aufgrund ihrer Religion: Also wandern die christlichen Palästinenser aus.

Sechs Tage waren sie vermutlich unterwegs: Mindestens einmal zog Jesus mit seinen Jüngern vom See Genezareth nach Jerusalem. Heute führt der Weg durch das palästinensische Territorium. Und noch immer ist er beschwerlich: Die israelische Sperranlage zwingt den Reisenden zu Umwegen, die Kontrollstellen verlangsamen die Fahrt, die Wochen vorher angemeldet werden muss. Wegen der strikten Politik Israels und mangelnder Chancen wandern immer mehr palästinensische Christen aus.

"In 20 Jahren ist kein Christ mehr da", prognostiziert der lutherische palästinensische Bischof in Jerusalem, Munib Younan, düster. Alarmierend sei vor allem das Schwinden der Christen in den von Israel besetzten Gebieten. Mit 40 000 Christen unterschreitet ihr Anteil dort inzwischen die Vier Prozent Marke, obwohl weltweit zehn Prozent aller Palästinenser Christen sind. Mehr als eine halbe Million von ihnen ist über die Welt verteilt; in Sidney zum Beispiel leben mehr von ihnen als in Jerusalem.

Der Bevölkerungsanteil von Christen im Heiligen Land liegt bei unter zwei Prozent. 120 000 palästinensische Christen leben in Israel. Während sie sich als Israelis wenn auch minderen Rechts gegenüber den jüdischen Bürgern verstehen, stehen ihre Glaubensgeschwister im Westjordanland auf der anderen Seite des Konfliktes. "Wir kämpfen ums Überleben", sagt Bernard Sabella. Der katholische Soziologe in Bethlehem betrachtet die Abwanderung junger Christen mit Sorge.

Vor allem die gut Ausgebildeten verlassen das Land. Selbst in ehemaligen Hochburgen wie Bethlehem habe sich das Verhältnis von Muslimen und Christen umgekehrt. Machten Christen in den 60er Jahren 80 Prozent aus, so sank die Zahl auf 20 Prozent. Dabei zwingen nicht nur die Lebensumstände zu Emigration. Um Fachkräfte zu halten, zahlen Einrichtungen wie das christliche Krankenhaus Auguste Victoria in Ostjerusalem Gehälter auf europäischem Niveau. Doch gerade junge Menschen wollen am Angebot der globalen Welt teilhaben. Mit der Sperranlage ist diese Sehnsucht in weite Ferne gerückt.

"Wir werden eingesperrt", sagt Younan. Seit ihrem Bau ist es für viele Gemeindemitglieder nicht mehr möglich, am Gottesdienst in Jerusalem teilzunehmen. Schüler und Lehrer der christlichen Talitha Kumi Schule bei Beit Dschala müssen täglich Umwege und Kontrollen in Kauf nehmen. Dies gilt auch für Mitarbeiter und Patienten christlicher Krankenhäuser. Um den Kontrollen zu entgehen, leben viele Familien getrennt voneinander.

Die Flucht ins Ausland hat Christen aller Konfessionen erfasst. Deshalb warnen die Bischöfe der orthodoxen, Katholischen, anglikanischen und lutherischen Kirchen gemeinsam vor dem Aussterben der Gemeinden. Verantwortlich, meinen die Kirchenführer in ihrem Aufruf, sei die illegale israelische Besatzung", die ein Leben "in Würde, Freiheit und Sicherheit" unmöglich mache. Die Lösung des Konfliktes sehen sie in der Schaffung zweier Staaten. Aber auch dann werden die Christen Schwierigkeiten haben: Palästina soll, sieht der Verfassungsentwurf vor, dem islamischen Scharia Recht unterworfen werden. Als Befürworter eines säkularen Staates gelten die Christen als Gegner eines islamischen Staates. Ein von der Scharia geprägtes Familien und Religionsrecht würde sie fesseln.

Politisch sitzen die Christen im Heiligen Land zwischen allen Stühlen: Weil sie sich als Teil der palästinensischen Gesellschaft fühlen, verdächtigt Israel sie. Das Verhältnis würde zudem durch einen Aufruf des Ökumenischen Rates verschärft: Er hat zum Boykott von Produkten der Siedler aufgefordert.


Aus: Südwest Presse vom 05.11.2005, Oliver Spies, epd
 

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