Von der Bedeutung des Gebetes


Man kommt gerade in der heutigen Zeit häufig mit verschiedenen Menschen zusammen, die selbst zwar behaupten, sich zum Christentum, zum christlichen Glauben zu bekennen, bei denen man aber von der Seite aus betrachtet aus irgendeinem Grund nicht sicher ist, ob oder ob viel Glaube vorhanden ist. Und so fragt man sich, woran erkennt man am besten, ob jemand oder ob man auch selbst gläubig im Sinne der christlichen Religion ist, was das sicherste Indiz dafür ist, dass man den gesunden christlichen Glauben besitzt. 

Spontan fällt einem auf diese Fragen vielleicht zunächst die Antwort ein: ein Kirchgänger sei ein gläubiger Christ. Zeige er ja an, dass ihm die Religion wenigstens nicht ganz gleichgültig ist, tue er ja auch etwas, um seinen Glauben in der Praxis auszuüben. Es ist richtig, dass der Kirchgang, gemeint ist die Mitfeier des authentischen christlichen Gottesdienstes, der hl. Messe, von zentraler Bedeutung für das Leben eines jeden katholischen Christen ist. Schärft ja auch die Kirche in ihrem 2. Kirchengebot den regelmäßigen Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes ein, sieht sie ja das unentschuldbare Fernbleiben davon als eine schwere Sünde an. Denn der leichtsinnige Verzicht auf das hl. Meßopfer kommt einer groben Mißachtung der Gnade Christi, des göttlichen Erlösers, gleich. 

Dennoch kommen einem beim Nachdenken Zweifel auf, ob denn allein an der Tatsache des Kirchganges die besondere Glaubensfestigkeit des betreffenden Menschen abgelesen werden darf, besonders wenn man beachtet, wer so alles manchmal vielleicht sogar regelmäßig in die Kirche geht und scheinbar fromm der hl. Messe beiwohnt. Außerdem kann eine Äußerlichkeit nicht unbedingt als ein sicheres Anzeichen für die innere Frömmigkeit gelten. Als solches muß es schon ein Element geben, das viel intensiver mit dem Wesen des katholischen Glaubens zu tun hat. 

Und als diese sogenannte Seele des Glaubens ist mit voller Berechtigung das Gebet anzusehen. Denn es setzt auf der einen Seite die Erkenntnis der eigenen Bedürftigkeit voraus. Wer betet, wer wirklich (d.h. im eigentlichen christlichen Sinne) betet, der weiß, dass er sich in Not befindet, dass er unbedingt Hilfe braucht, dass er ohne diese Hilfe großer Gefahr auch und gerade im Hinblick auf sein Seelenheil ausgesetzt ist. Das Gebet ist Folge der Erkenntnis, dass der Mensch sich selbst hierin keinesfalls entscheidend helfen kann. Deswegen wendet er sich ja auch an jemand anderen, der in der Lage ist, ihm Hilfe zu verschaffen. Somit überwindet jeder aufrichtige Beter jene schwere Sünde des Stolzes und Hochmutes, die schon sowohl den gefallenen Engeln als auch unseren Stammeltern Adam und Eva zum Verhängnis wurde! Die trügerische Einbildung, sich mehr Fähigkeiten zuzuschreiben als man tatsächlich besitzt, entwickelte sich auch in der Folgezeit für nicht wenige zur Ursache des eigenen Verderbens. Denn nur wo tiefe und aufrichtige Demut vor Gott den Hintergrund bildet, werden sämtliche unserer (religiösen) Aktivitäten, darunter zweifelsohne auch der Kirchenbesuch, vor Seinen Augen als wohlgefällig erscheinen! 

Auf der anderen Seite ist das Gebet, auch das Bittgebet, ein Akt der Verehrung Gottes! Denn man wendet sich ja bittend an Ihn, man erkennt und anerkennt Ihn ja gerade als die Quelle und den Geber aller Gnaden, derer man bedarf, gewissermaßen traut man Ihm ja zu, einem in jedweder Not beizustehen und zu helfen. Ein Christ, der betet, setzt sein ganzes Vertrauen nicht (allein) auf sein eigenes Vermögen, sondern er baut unbeschadet der Erkenntnis von der Notwendigkeit der eigenen Mitwirkung mit der Gnade Gottes hauptsächlich auf Ihn! 

Auf diese Weise beinhaltet ein vertrauensvolles Gebet auch Elemente der Anbetung Gottes, die eigentlich die höchste Gebetsform ist. Denn der Lobpreis und die Verherrlichung des Schöpfers und Erlösers wird Ihm hier hauptsächlich wegen Seiner moralischen Vollkommenheit und Oberhoheit, der Heiligkeit, und Seiner alles überragenden göttlichen Herrlichkeit dargebracht. Und nicht einmal ein Schatten des menschlichen Eigennutzes mischt sich dem beim Beter bei! Somit bedeutet das Gebet insgesamt eine aus der Sehnsucht nach Gott und aus dem Verlangen nach Seiner Hilfe erwachsende Hinwendung an Ihn. Man führt eine Art intimes Gespräch mit Ihm, man schüttet sein eigenes Herz vor Ihm aus, man legt seine ganze Hoffnung auf Ihn - ob mit auswendig gelernten, mit im Gebetbuch niedergeschriebenen oder mit in stummer Zwiesprache erfolgten Gebeten. Durch diesen unübersehbaren Bezug zum Herrgott, dem unanfechtbaren Zentrum der christlichen Religion, der sich ja auch in Jesus Christus an uns, Menschen, gewandt hat, erweist sich das Gebet als eine der wichtigsten und hauptsächlichsten Betätigungen eines echten Christen! 

Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß an dieser Stelle natürlich Erwähnung finden, dass das Gebet keinesfalls der einzige Inhalt des religiösen Lebens eines Menschen sein soll und darf. Denn gerade der genuin christliche Glaube verlangt vom Menschen, seinen Glauben in die Tat umzusetzen, ihn nicht nur theoretisch zu vertreten, sondern unbedingt auch praktisch zu leben: “Der Glaube ohne Werke ist nutzlos” (Jak 2,20)! Dennoch bleibt das Gebet von zentraler Bedeutung für das christliche Leben, weil ja jede (praktische) Tat einer Orientierung, einer Anleitung bedarf. Um richtig handeln zu können, muß man ja zuvor wissen, wie, d.h. mit welcher Einstellung, in welcher Intention, in welche Richtung man seine Aktivitäten entwickeln soll. Und gerade das Gebet als eine Art Begegnung mit Gott ist wie kaum ein anderes Mittel geeignet, dem Menschen die Augen für die Wahrheit Gottes zu öffnen, die richtige Grundeinstellung zu vermitteln und auch Orientierung bei und Kraft zu der Umsetzung des Glaubens in die Tat zu schenken. Haben denn nicht viele Menschen durch das Gebet zum Glauben, zum intensiveren Leben mit Gott gefunden, die Klarheit über den Willen Gottes erlangt, Trost und Zuversicht für ihr Leben geschöpft? 

Auf der anderen Seite lassen sich aber auch Parallelen aufweisen zwischen mangelndem Gebetseifer und der Glaubensverflachung, zwischen der Gebetserlahmung und dem zunehmenden Glaubensschwund bzw. -verlust. Sowohl die jüngere Kirchengeschichte als auch speziell die Geschichte der modernistischen Bewegung ist ein warnendes Beispiel dafür, wie gefährlich und schädlich sich die Gebetsvernachlässigung auf den Glauben und die Moral des Menschen auswirken kann und es in der Regel auch tut! Wenn uns also eine tiefe und lebendige Beziehung zum Herrgott wichtig ist, wenn wir bei diesem Glauben unserer Vorfahren, dem heiligen katholischen Glauben, bleiben und ihn auch für künftige Generationen lebendig erhalten wollen, wenn wir ebenfalls von der aufrichtigen Absicht erfüllt sind, ihn aus Nächstenliebe auch anderen Menschen zu vermitteln, dann muß uns hierfür u. a. auch das Gebet als äußerst hilfreich und als unentbehrlich erscheinen! 

 

P. Eugen Rissling


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