Der Christliche Glaube


Fragestellung

Einen religiösen Menschen unterscheidet von einem nicht religiösen der Umstand, daß der erstere im Unterschied zum letzteren die Haltung des Glaubens besitzt. Unter Glaube (noch nicht im spezifisch christlichen Sinn) verstehen wir vorläufig eine irgendwie geartete Einstellung, Haltung zu einer (noch nicht näher bestimmten) Gottheit. Der Glaube (in diesem allgemeinen Sinne) ist somit ein wesentlicher Bestandteil einer Religion, ohne ihn gibt es auch keine Religion. 

Wir wollen uns nun hier die Frage vorlegen, was diese religiöse Haltung ist, was sie sein soll, was darunter zu verstehen ist. Wie rechtfertigt sie sich überhaupt? Verlangt von mir die Religion berechtigt diese Glaubenseinstellung, oder entspringt das Gebot, an Gott zu glauben, einer Willkür? Muß ich diesem Gebot entsprechen oder kann ich es rechtens mißachten? 

Unzertrennbar damit verbunden ist die Frage nach dem Dasein Gottes als des höchsten Wesens. Gibt es Gott, dann muß ich natürlich auch eine Glaubenseinstellung (was darunter auch zu verstehen sei) besitzen. Alles andere wäre unberechtigt und moralisch verwerflich. Wenn es Ihn aber nicht gibt, wenn Er in Wahrheit nicht existiert, dann ist ja folgerichtig der Glaube an Ihn nicht nur überflüssig, sondern sogar unvernünftig und schädlich. Da man entweder religiös oder nicht religiös sein kann, beschäftigen diese Fragen jeden Menschen. Man setzt sich damit auseinander und will innere Sicherheit haben. Dazu wird man u. a. auch deshalb angeregt, weil man Menschen begegnet, die anderer, gegenteiliger Auffassung sind. Für einen religiösen Menschen kommt hinzu, daß es noch inhaltlich verschiedene Glaubens- und Gottesvorstellungen gibt, der andere versteht oft unter demselben Namen etwas ganz anderes. Deshalb sucht der Mensch, sich Klarheit zu verschaffen auf die für ihn existentiell sehr wichtige Frage nach dem Dasein und Wesen Gottes, nach dem Grund und Inhalt des Glaubens an Ihn. 

 

Fehlerhafte Lösungsversuche

Viele unserer Zeitgenossen versuchen unserer Fragestellung auszuweichen, indem sie jedem „seine eigene Überzeugung lassen“ und nicht nach der Rechtmäßigkeit des jeweiligen “Glaubens” fragen. Diese Haltung ist heute populär geworden und wird oft genug als besonders große Menschenfreundlichkeit und Toleranz vermarktet. Dies mag zwar schön klingen, nur gibt es zwischen den Aussagen „es gibt Gott“ und „es gibt keinen Gott“ keinen Mittelweg oder Kompromiß! Entweder ist das eine wahr und das andere falsch oder umgekehrt. 

Wenn sich jeder Mensch nach seiner persönlichen Vorliebe willkürlich eine Meinung zu dieser Frage „zusammenbasteln“ darf, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder müßten alle in sich noch so gegenteiligen Auffassungen wahr sein (so bei Hegel) - was völlig unmöglich ist, weil Widerspruch in sich (!) -, oder es gäbe grundsätzlich keine Wahrheit, die für alle Menschen gleich wäre (oder wenigstens keine, die wir erreichen könnten, was letztendlich auf dasselbe hinausläuft.) Diese letztere Vorstellung ist ebenfalls grundsätzlich und ohne jegliche Ausnahme völlig undenkbar, weil ja dann auch für die Behauptung selbst, daß es keine Wahrheit gebe, keine Wahrheit beansprucht werden könnte! (Ein Leugner der Existenz einer allgemeingültigen Wahrheit will ja mindestens diesen Satz, daß es keine absolute Wahrheit gäbe, als den wahren Realitäten entsprechend ansehen.) Also bietet dieser gefährliche Subjektivismus (jeder betrachte und mache es, wie es ihm beliebt) keine Lösung für das von uns aufgestellte Problem. In beiden Fällen wird auch dem Begriff „Überzeugung“ nicht Rechnung getragen, es bleibt ein leeres Wort. 

Verbreitet ist unter religiösen wie nichtreligiösen Menschen die Auffassung, der Glaube an Gott sei ein blindes Dafürhalten. Da niemand etwas genaueres wisse, ja grundsätzlich nicht wissen könne, könne man sämtliche Lehrsätze über die Existenz und die Eigenschaften Gottes - uns geht es ja vorläufig nur um diese allgemeinen Fragen nach Gott - höchstens für wahr halten, was sich dann in der Ewigkeit als besonders verdienstvoll erweisen würde. Mit einer Erkenntnis habe der Glaube an Gott nichts zu tun.  Sollte dies zutreffen, dann müßte man jedem seine eigene Meinung lassen, auch wenn diese noch so abenteuerlich sein sollten. Denn der eine hält halt das eine für wahr, und der andere klammert sich - ohne sachliche Kriterien für seine Entscheidung anzugeben - am anderen fest. Jeder bildet oder redet sich ein, was ihm gerade in seinen Kram paßt. Es wäre niemals zu beurteilen und festzustellen sein, was wahr und was falsch ist, was der Wirklichkeit entspricht und was nicht. Der Glaube wäre dann völlig unvernünftig, er hätte rein subjektive Bedeutung und diente nur dem Zweck der Befriedigung persönlicher religiöser Bedürfnisse, wie diese auch immer aussehen mögen! Werfen ja auch Atheisten der Religion vor, sie sei vernunftwidrig, und der Glaube an Gott stelle nur eine Einbildung der Menschen dar. Die (religiösen) Befürworter der These vom blinden Dafürhalten meinen zwar, dem Glauben einen Dienst zu erweisen, sehen aber offensichtlich nicht das Mangelhafte ihrer These. Da diese Auffassung auch keine hinreichende Rechtfertigung der religiösen Haltung bieten kann, scheidet sie ebenfalls aus. 

 Oft wird versucht, den Glauben an Gott mit dem Verweis auf die Autoritäten und den ihnen geschuldeten Gehorsam zu rechtfertigen. Die kirchlichen Autoritäten seien ja von Christus eingesetzt worden, die katholische Kirche habe ja - was ebenfalls völlig richtig ist - die Verheißung der Unfehlbarkeit und Unzerstörbarkeit erhalten (vgl. Mt 16,18f.; 18,18), deshalb sei auch das von ihr Gelehrte auch das von Gott Geoffenbarte. Wenn man sich ausschließlich (!) auf die Autoritäten (welcher Art auch immer) stützen wollte, bliebe eine ganze Reihe von Fragen unbeantwortet. Woher wissen wir, daß die Autoritäten rechtmäßige Autoritäten sind? Wir glauben doch nicht einer Autorität nur deshalb, weil sie von sich behauptet, Autorität zu sein, ohne sich für alle einsichtig legitimieren zu können. Was garantiert uns, daß diese Autoritäten den Glauben richtig empfangen und ohne inhaltliche Verzerrung verstanden haben? Es muß zuerst ausgeschlossen werden, daß sie selbst einem Irrtum oder einer Täuschung erlegen sind. 

Woher weiß die Autorität selbst - denn sie müßte ja folgerichtig auch auf eine Autorität angewiesen sein (!) -, daß das von ihr Verkündete auch tatsächlich das von Christus Geoffenbarte ist? Auf welche Autorität stützt sie sich dabei selbst? Wir glauben doch nicht an Gott (die Gotteslehre ist ja der wichtigste Bestandteil der christlichen Religion), nur weil jemand, der vorgibt, Autorität zu sein, behauptet, daß es Gott gibt, und daß Er diese oder jene Eigenschaften besitzt! Der Verweis auf die Autorität der Apostel rechtfertigt demzufolge ebenfalls noch nicht die grundsätzliche religiöse Haltung. 

Wäre dem nicht so, dann könnte jeder kommen und alles Mögliche behaupten. Jesus Christus hat von Seinen Zeitgenossen den Glauben an Ihn bezeichnenderweise nicht mit dem ununterbrochenen Pochen auf Seine Autorität verlangt. Nicht nur versuchte Er, diese Autorität für alle einsichtig zu legitimieren. Vor allem versuchte Er, den Glauben Seiner Zuhörer zu wecken und zu begründen, indem Er auf den Wahrheitsgehalt Seiner Worte hinwies. 

Nein, der reine Autoritätsglaube allein bietet uns auch keine Hilfe für die Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach der Rechfertigung der religiösen Haltung. Er löst nicht, sondern verschiebt nur alle Probleme, die bei der Beurteilung der vorher behandelten Auffassungen auftraten, auf eine andere Ebene. 

Anhang dieser Ausführungen können wir erkennen, daß sich die Annahme der Existenz und der bestimmten (geistigen) Beschaffenheit eines höheren Wesens, wenn überhaupt möglich, dann nur aufgrund der für alle Menschen einsichtigen und allen zugänglichen Argumente rechtfertigen muß! Es müssen objektive und für alle Menschen gültige Kriterien angegeben werden. Man darf nicht von Voraussetzungen ausgehen, die entweder unberechtigt oder nur von einem Teil der Menschen als gesichert angenommen werden. Ein Moslem zum Beispiel besitzt andere Glaubensvoraussetzungen („Glaube“ hier wiederum im umgangssprachlichen Sinn) als ein katholischer Christ. Der eine beruft sich auf den Koran, und der andere auf die Hl. Schrift samt der christlichen Tradition. Auch darf man nicht die religiöse Haltung voraussetzend versuchen, diese zu rechtfertigen. (Dann setzen wir ja etwas voraus, was erst bewiesen werden soll.) Einen Atheisten können wir auf diese Weise nicht überzeugen, ja, eine Überzeugung wäre in diesem Fall grundsätzlich nicht möglich. Auf dieses Problem hat z.B. der hl. Anselm deutlich hingewiesen. 

 

Der Mensch als Ebenbild Gottes 

Im Buch Genesis des Alten Testamentes wird uns von der Erschaffung der Welt berichtet. Nachdem Gott zuvor das Weltall, die Erde, die Pflanzen- und Tierwelt erschaffen hatte, erschuf Er am 6.Tag den Menschen: „Laßt uns den Menschen machen als Unser Ebenbild, Uns ähnlich! Herrschen soll er über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels ... ! So schuf Gott den Menschen als Sein Ebenbild. Als Gottes Abbild schuf Er ihn“ (Gen 1,26f.). 

Allein dadurch daß der Mensch über die ganze übrige Kreatur herrschen, ja sie sich „untertan machen“ sollte (vgl. 1,28), erkennt man schon seine herausragende Stellung innerhalb der Schöpfung Gottes. Noch deutlicher ist sein besonderer Stellenwert erkennbar aus der Tatsache, daß der Mensch, und nur er, als Gottes Ebenbild und Abbild erschaffen wurde. Diese Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen besteht darin, daß der Mensch mit der (denkenden) Vernunft und dem freien Willen ausgestattet ist! Er ist im Unterschied zur übrigen Schöpfung ein denkendes Wesen und kann sich aus freien Stücken für oder gegen etwas entscheiden. In dem, was sein spezifisch menschliches Wesen ausmacht, ist er nicht verurteilt, irgendwelchen (vielleicht sogar auch komplizierten oder vielschichtigen) Trieben oder Instinkten automatisch zu folgen. 

Und vor allem besitzt der Mensch die Fähigkeit, das moralisch Gute vom moralisch Bösen zu unterscheiden! Der Mensch als Vernunftwesen trägt schon allein dadurch, daß er Mensch ist, in sich die Idee dessen, was wahr und was gut ist. Als Geistwesen steht er in Beziehung zum Wahren und Guten.61 Aus dieser Beziehung kann er niemals heraus. Denn für jede seiner Handlungen, die er als Bewußtsein vollzieht (in Gedanken, Worten oder Werken), beansprucht er die Wahrheit. Ob er etwas behauptet oder leugnet, sagt er zugleich (stillschweigend) aus, daß diese Äußerung der Wahrheit entspricht oder nicht. Auch wenn er eine Frage stellt, will er den wahren Sachverhalt finden. Wollte jemand behaupten, daß es grundsätzlich keine Wahrheit gibt, dann dürfte er auch diese Behauptung nicht machen, für die er doch die Wahrheit in Anspruch nimmt! 

Jeder Mensch vernimmt in sich die Forderung dessen, was moralisch gut ist. Diesem Anspruch des Guten - umgangssprachlich die Stimme des Gewissens genannt - kann niemand entfliehen. Zwar kann man versuchen, diese Stimme zum Ersticken zu bringen, so daß sie sich später (scheinbar) nicht mehr meldet - in etwa im Zustand der Verstockung. Dadurch liegt aber bereits eine Entscheidung vor, in diesem Fall gegen das moralisch Gute! Das bedeutet, daß das Gewissen beim Menschen grundsätzlich nicht eliminiert werden kann. Zwar kann sich der Mensch alles Mögliche vorstellen oder einbilden, dadurch muß dieses Gedankengebilde noch nicht real vorhanden sein. Denkt sich jemand eine noch so wunderbare Welt aus, existiert sie noch nicht unbedingt in der Wirklichkeit, sondern nur in seiner Phantasie. Die Erkenntnis der unabänderlichen Wahrheit und des moralisch Guten, dieses Werturteil, beruht bei ihm dagegen niemals auf einer Einbildung oder Illusion. Sie ist ja die notwendige Voraussetzung dafür, daß er überhaupt denken und urteilen kann, sie “macht” ihn gewissermaßen erst zum Menschen! Ohne diese Erkenntnis könnte der Mensch auch nicht befürchten, es könnte sich bei ihm hierbei um eine Illusion handeln. Diese Erkenntnis der absoluten Wahrheit tritt beim Menschen übrigens nicht als eine Art Zusatz oder erst nachträglich zum übrigen Mensch-Sein auf, sondern macht erst sein eigentliches Mensch-Sein aus! Ohne diese Erkenntniseigenschaft ist er überhaupt nicht als Mensch zu denken. 

 Oft wurde der Mensch als ein animal rationale aufgefaßt, d.h. als ein biologisches Wesen, das zudem noch einen Geist hat. Demnach wäre der Mensch seiner Grundverfaßtheit nach ein Tier, das im Unterschied zu anderen Tieren zusätzlich noch denken könnte. Sollte er aber nicht eher wesensmäßig als ein Geist, als eine Vernunft angesehen werden, zu der noch der biologische Leib hinzukommt? Der Mensch ist in erster Linie ein transzendentes (auf die Wahrheit, auf das Gute bezogenes) Geistwesen, das auch noch an einen physikalischen Körper (den menschlichen Leib) gebunden ist. Biblisch gesprochen besteht das eigentliche Moment der Erschaffung des Menschen nicht in der Bildung seines Leibes aus dem Staub der Erde, sondern erst im Einhauchen des Lebensodems in das bis dahin nur rein biologische Angesicht durch Gott (vgl. Gn 2,7)! 

Diese Erkenntnisse leiten wir primär wohlbemerkt nicht aus der Hl. Schrift ab, sonst würden wir uns selbst widersprechen, weil wir uns auf etwas stützten, was nicht von allen Menschen gleichermaßen als Voraussetzung anerkannt wird. (Die Bibel hat den wahren Sachverhalt treffend formuliert.) Wir erkennen dieses Privileg des Menschen vor der übrigen Schöpfung unabhängig von der Bibel, eben weil wir Menschen, weil wir frei denkende Geistwesen sind. Und diese Grundbeschaffenheit und -fähigkeit des Menschen, in moralischen Kategorien zu denken, kann kein ernsthaft denkender Mensch rechtens leugnen, unabhängig davon, ob er religiös oder ungläubig, Christ oder Moslem, jung oder alt ist!

 

Die positive Offenbarung Gottes - Bedingungen 

Wie in vorangegangenen Ausgaben der “Beiträge” bereits ausgeführt, ist jeder Mensch als Vernunftwesen grundsätzlich fähig und imstande, Gott als Gott, d.h. als das höchste Wesen, als den Heiligen zu erkennen. Die Beschaffenheit seiner menschlichen Natur als eines Geistwesens ermöglicht ihm dies. Weil diese Art, dieser Umfang des Erkennens Gottes auf der Natur des Menschen gründet, wird sie in der Theologie die natürliche Gotteserkenntnis, die natürliche Offenbarung Gottes genannt. Und weil jeder Mensch nicht mehr und nicht weniger “Mensch” ist als der andere, wird hier niemand “bevorzugt” oder “benachteiligt”: jeder Mensch, der sich des Vernunftgebrauchs erfreut, besitzt genügend Möglichkeiten, Gott zu erkennen und zu lieben. 

Daneben ist zu überlegen, ob sich denn Gott dem Menschen nicht nur allgemein, bloß im Geiste, sondern auch konkret, historisch greifbar, durch geschichtliche Ereignisse zeigen und offenbaren kann, ob denn Gott dem Menschen auch durch konkretes, direktes Eingreifen in der äußeren, materiellen Welt begegnen kann. Dies würde voraussetzen, daß Gott zum Menschen auf menschliche Weise, nach der Art eines Menschen spräche. Gott müßte sich dann dem Menschen in der Weise des Sprechens, in dem wie Er sich ihm offenbare, anpassen, denn der Mensch kann sich ja ursprünglich nicht selbst in die göttliche Sphäre erheben, um mit Gott Kontakt aufzunehmen. Dies hätte eine gewisse “Vermenschlichung” Gottes zur Folge. Kann aber Gott dies tun, ohne aufzuhören Gott zu sein? 

Nun, wir müssen feststellen, daß Gott sich schon im Rahmen der sogenannten natürlichen Offenbarung in gewissem Sinn “vermenschlicht” hat, läßt Er sich ja hier vom Menschen zwar allein im Geiste, aber dennoch bereits auf eine menschliche Art und Weise, in Entsprechung zur menschlichen Natur erkennen! Gott paßt sich der menschlichen Denkweise an, um von ihm überhaupt verstanden werden zu können. Indem der Mensch Gott erkennt, erkennt er zugleich auch, daß Gott ganz anders als der Mensch, unendlich weit über das menschliche Sein erhoben, grenzenlos vollkommen sein muß. Und da der Mensch offenkundig nicht Gott, nicht der heilige und vollkommene Geist ist, bleibt nur die eine Möglichkeit, daß nicht der Mensch sich Gott, sondern umgekehrt Gott sich dem Menschen “angepaßt” hat, damit der Mensch Ihm habe begegnen können. 

Diese teilweise “Vermenschlichung” Gottes beinhaltet nun auch zugleich die Möglichkeit, daß Gott über die natürliche Offenbarung hinaus in die Menschheitsgeschichte eingreife. Hat Er ja schon grundsätzlich den Abstand zwischen Sich und dem Menschen überbrückt, eine Brücke zwischen beiden Seiten geschlagen! Es würde also nicht im Widerspruch zu Gott stehen, wollte Er im größeren Umfang als nur mittels der natürlichen Offenbarung, d.h. durch weiteres, darüberhinaus liegendes Sich-Mitteilen und durch konkretes geschichtliches Eingreifen sich am Schicksal der Menschheit beteiligen. Diese Offenbarungsweise Gottes hat in der Theologie - sollte sie jemals Wirklichkeit werden oder geworden sein, wir sprechen ja hier noch allgemein darüber - die Bezeichnung positive Offenbarung bekommen, weil Gott in diesem Fall Seinen Willen konkret und im einzelnen kundtun würde. Und zwar müßte Er dann nicht bloß allgemein als vollkommener Geist, sondern als eine ganz konkrete geschichtliche Person handeln, wenn Er sich schon an der Menschheitsgeschichte beteiligt. 

Diese teilweise “Vermenschlichung” Gottes beinhaltet grundsätzlich aber auch die Möglichkeit, daß Gott im ganzen Umfang an der menschlichen Natur Anteil bekommt - durch die Menschwerdung Seiner selbst! Da Gott zum Menschen bereits im Geiste spricht (natürliche Offenbarung), muß dieser Umstand doch sicherlich Seinem Willen entsprechen, läßt sich ja Gott zu nichts zwingen. Es muß also zur Absicht Gottes gehören, sich dem Menschen zu offenbaren, sich ihm in verständlicher Weise mitzuteilen, ihn an der eigenen Vollkommenheit teilnehmen zu lassen. Will also Gott nicht auf dem halben Weg stehen bleiben, muß wohl mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß Gott sich früher oder später auch ganz “vermenschlicht”, d.h. im vollen Umfang an der menschlichen Natur Anteil bekommt, ein richtiger Mensch wird (ohne natürlich aufzuhören, Gott zu sein)! Nur so könnte Er dann zum Menschen richtig nach der Art eines Menschen reden, nur so könnte Er dann Seinen heiligen Willen dem Menschen auf eine Weise kundtun, die für den Menschen am verständlichsten ist! 

Es muß uns unbedingt bewußt sein, daß diese sogenannte positive Offenbarung Gottes, d.h. sowohl die teilweise als auch die ganzheitliche “Vermenschlichung” Gottes nur aufgrund eines freien Ratschlusses Gottes erfolgen kann. Gott kann dazu nicht gezwungen oder irgendwie genötigt werden, Er müßte diesen Schritt von sich aus tun, aufgrund der eigenen Initiative. Es ist bzw. wäre ein freiwilliges Entgegenkommen Gottes, das allein Seiner Güte und Menschenfreundlichkeit zuzuschreiben wäre! 

Der Mensch trägt in sich die Idee dessen, was gut und was recht ist. Richtet sich ja - wie wir in der letzten Folge unserer Ausführungen bereits sahen - der entschiedene sittliche Wille Gottes ursprünglich an jeden von uns. Deshalb sind wir auch grundsätzlich befähigt, jeden Überbringer einer angeblich göttlichen Botschaft zu überprüfen, sollte an uns jemand mit dem Anspruch herantreten, Mittler des göttlichen Willens zu sein. Wir glauben nicht ohne weiteres jedem (angeblichen oder auch wahren) Offenbarungsträger, sondern vergleichen den Inhalt seiner Botschaft mit unserer ursprünglichen Idee vom Göttlichen und Vollkommenen, ob nämlich beides übereinstimmt. Liegt eine Übereinstimmung vor, darf dem Betreffenden guten Grundes Glauben geschenkt werden. Ist sie aber nicht gegeben, muß dieser “Mittler” in seinem Anspruch, den göttlichen Willen kundzutun, entschieden abgelehnt werden. In jedem Fall muß aber mit größtmöglicher Ernsthaftigkeit vorgegangen werden. Dabei wollen wir auch nicht verschweigen, daß sich dieser Prozeß der Überprüfung nicht immer einfach gestalten müsse und dem Einzelnen unter Umständen auch große Schwierigkeiten bereiten könne. Trotzdem ist es grundsätzlich möglich, die Spreu vom Weizen zu trennen. 

 

Die positive Offenbarung Gottes - Realisierung 

So gab es im Laufe der Menschheitsgeschichte mehrere Überbringer einer vermeintlich göttlichen Botschaft. In manchen Fällen sind dabei sicherlich auch Ideen anzutreffen, die Elemente, teilweise vielleicht sogar nicht unbeträchtliche Elemente der wahren Gottesvorstellung enthalten, oder die einzelne Eigenschaften Gottes mehr oder weniger angemessen zur Sprache bringen. 

Trotzdem muß aber beim nüchternen Betrachten festgestellt werden, daß das gesamte Gottesbild in diesen (außerchristlichen) Religionen oder Weltanschauungen nicht der Idealvorstellung von Gott entspricht. Entweder mangelt es diesen Religionen oder Weltanschauungen an positiven Aussagen über Gott, falls darin die Existenz eines höchsten Wesens überhaupt angenommen wird (so z.B. im Buddhismus und einigen anderen heidnischen Religionen), oder sie enthalten auch Elemente, die im schärfsten Widerspruch zur Gottesvorstellung als dem vollkommensten Wesen stehen (so z.B. der Islam - “Allah” kann sich nicht mit der christlichen Gottesvorstellung, mit dem neutestamentarischen Vollkommenheitsideal messen!). Deshalb können und dürfen diese Religionen nicht als Vermittler göttlichen Willen angenommen werden. Da Gott gewissermaßen nur in Seiner Gesamtheit bzw. nur als der Heilige schlechthin angenommen und bejaht werden kann, können die betreffenden Religionsstifter nicht auf Geheiß (des wahren) Gottes gehandelt haben! Auch wenn wir nicht leugnen wollen, daß diese Religionen zu ihrer Zeit und in ihrem Umfeld mit ihren Vorstellungen vielleicht sogar auch einen gewissen, relativen Fortschritt dargestellt haben, können z.B. Buddha oder Mohammed trotzdem nicht als Propheten oder Gesandte des wahren und lebendigen Gottes gelten! 

Als Jesus Christus mit Seiner Predigttätigkeit in Palästina begann, müssen Seine Worte einen enormen Eindruck auf die Zuhörer gemacht haben. Es muß zutage getreten sein, welche mehr als nur überdurchschnittliche sittliche Kraft aus Ihm ausging und Seine Zuhörer fesselte. Am Schluß der Bergpredigt heißt es im Evangelium bezeichnenderweise: “Als Jesus diese Reden beendet hatte, wurden die Volksscharen von Staunen über Seine Lehren ergriffen. Denn Er lehrte sie wie einer, der Macht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten und Pharisäer” (Mt 8,28f.). Dieser Jesus von Nazareth blieb nicht auf dem halben Weg stehen, indem Er vielleicht bereit gewesen sein sollte, notfalls auch Kompromisse mit dem Unrecht einzugehen, falls nichts anderes mehr “half”. Nein, Er forderte, Er verlangte bedingungslos die größtmögliche Entschiedenheit in der Realisierung des göttlichen Willens, und zwar ohne falsche Rücksicht auf die Person oder auf die menschlich-irdische Denkweise. Auch griff Er nicht zu faulen Tricks oder wendete unlautere Methoden an, um Seine Zuhörer auf Seine Seite zu ziehen - Seine stärkste und einzige Waffe war die Wahrheit Seiner Worte! Ebenfalls ging es Ihm nicht um pure Polemik, persönliche Rechthaberei oder um Privatinteressen - alles drehte sich bei Ihm einzig und allein um die göttliche Wahrheit, um das Recht Gottes! 

Und vor allem hielt er sich konsequent daran bei den täglichen Entscheidungen in der Praxis. Seine Treue zum und Sein unerschütterliches Vertrauen auf Seinen himmlischen Vater unterstrich Jesus durch den eindeutigen Verzicht auf die weltliche Macht und auf äußere Hilfe, so z.B. bei der dritten Versuchung in der Wüste (Mt 4,8ff.), nach der wunderbaren Brotvermehrung (Joh 6,14f.) oder auch durch Ausschlagen der Hilfe durch die Engel (Mt 26,52ff.). Sein vitales Interesse an der Umkehr der Sünder fand Bestätigung in Seinen zahlreichen Begegnungen mit Zöllnern und Sündern (vgl. Mt 9,10ff.) oder durch Seinen Umgang mit der Ehebrecherin (Joh 8,1-11), weshalb ihm die geistige Oberschicht des Volkes ebenfalls nicht wohl gesonnen war. Lieber nahm Er schließlich auch den eigenen schmachvollen und bitteren Tod in Kauf, als auf die ewige Wahrheit und Seine Sendung als Heiland und Erlöser zu verzichten. 

Und diese sittliche Kraft dieses Jesus von Nazareth, die sich an Ihm ganzheitlich bemerkbar machte, hat Seinen Zeitgenossen, die sich nicht der Wahrheit verschlossen haben, die Überzeugung gebracht, daß Er wirklich ein Gesandter des Himmels ist, daß Er - um sich mit den Worten des Apostels Petrus auszudrücken - in der Tat “Worte ewigen Lebens” hat, “der Heilige Gottes“ (Joh 6,68f.) und “der Sohn des lebendigen Gottes” ist (Mt 16,16)! Die Geburt Jesu aus einer Jungfrau, wofür auch der hl. Josef noch vor seinem Tod in seiner Umgebung ein beredtes Zeugnis abgelegt haben muß, die zahlreichen Wunder, die Jesus gewirkt hat und die nicht einmal Seine Gegner anzuzweifeln gewagt haben, und vor allem die glorreiche Auferstehung, die durch das leere Grab und die österliche und nachösterliche Erscheinung vor vielen Zeugen historisch bestätigt werden konnte, usw. trugen dazu bei, Jesus Christus als eben diesen “Sohn des lebendigen Gottes”, d.h. als den wahren, heiligen und einzigen Gott (vgl. Joh 10,29-33) zu erkennen, der unter uns, Menschen, konkret als (eine menschliche) Person erschienen ist, um uns das ewige Heil zu vermitteln und zu schenken! 

Bei der Beurteilung der Person und des Wirkens Jesu ist noch ein Umstand von größter Wichtigkeit. Weshalb hat denn Gott den Menschen erschaffen, welchen Sinn hat überhaupt Sein Offenbarungswerk, welchen Zweck, welche Absicht verfolgt Er mit Seinem Zugehen auf den Menschen? Wie wir beim letzten Mal bereits sahen (vgl. “Beiträge”/17, S.11), will Gott als die unendliche Güte das Gut-Sein aller (vernunftbegabter) Geschöpfe, Er will die Realisierung der Sittlichkeit! Um dieses Ziel zu erreichen, hat Er die Kluft zwischen Sich und dem Menschen durch Seine eigene “Vermenschlichung”, schließlich durch die Menschwerdung, überbrückt. 

Nur gibt es da noch ein Hindernis, das durch sein Vorhandensein der Realisierung der Sittlichkeit im Wege steht und der Heiligkeit Gottes diametral entgegengesetzt ist - die Sünde! Das Nicht-Gut-Sein, die Schlechtigkeit, die Bosheit des Menschen verhindert eine Gemeinschaft, ein Gemeinsam-Werden zwischen Gott und dem Menschen. Wo die Sünde, d.h. letztendlich die Ablehnung des heiligen Gottes in Seinem berechtigten Anspruch auf den Menschen, herrscht, da ist folglich die Sittlichkeit unmöglich, und zwar grundsätzlich und ausnahmslos. Und die Realität der Sünde erfahren wir ja täglich zur Genüge. Sollte also die Offenbarung Gottes überhaupt ihr Ziel erreichen können, muß die Sünde irgendwie aus der Welt geschaffen werden! Gott ist gütig und barmherzig, Er verzeiht jedem großmütig, der darum bittet, d.h. jedem, der die Umkehr vollzieht. Trotzdem muß vorher zuerst die Macht der Sünde gebrochen werden, sie als solche überwunden werden. Ist die Sünde ja nicht mehr ungeschehen zu machen, ist sie ja leider Wirklichkeit geworden, entfaltet sie ja ihre zerstörerische Kraft. Um sie aufzuhalten und in ihrem Kern zu vernichten, bedarf es eines solchen Ausmaßes an sittlicher Kraft, die wenigstens “gleichziehen” kann mit der gewaltigen Macht der Sünde! 

Da wir, die Menschen, Gott, den unendlich Heiligen und Gütigen, beleidigt haben, ist auch unsere Sünde unendlich schwer. Wir als die Schuldigen können mit unserer sittlichen Gebrechlichkeit diese benötigte sittliche Kraft nicht aufbringen, um Reparation, Wiederherstellung zu leisten. Trotzdem muß sie im Namen der Menschheit und auch von einem Menschen vollbracht werden, um ihr Ziel zu erreichen und der Gerechtigkeit Gottes genüge zu tun. Andererseits verfügt allein Gott in Seiner Vollkommenheit über wenigstens ausreichende sittliche Energie, die die Gewalt der Sünde brechen und sie selbst in ihrem Einfluß auf die Menschen aufheben zu können. An dieser Stelle kann man überdeutlich erkennen, welche enorme Bedeutung die Menschwerdung und dann auch das Leiden und der bittere Tod Jesu Christi haben. War Er doch Gott und Mensch zugleich und hat Er doch von Anfang an Sein Ihm bevorstehendes Kreuz als ein Sühnewerk, als Wiedergutmachung für die Sünden der Menschen aufgefaßt: “So ist der Menschensohn auch nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen, ja Sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele” (Mt 20,28)! Warum denn auch sonst Seine wiederholten Ankündigungen, Er “müsse ... vieles erleiden... (und) getötet werden” (vgl. Mt16,21; 17,22f.; 20,17ff.), wenn dies Seinerseits nicht wissentlich und freiwillig geschehen sei? 

Wenn also Gott bereits konkret als eine historische Person in dieser Welt erschienen ist, dann hat das Sich-Offenbaren Gottes seinen Höhe- und Endpunkt erreicht! Es kann logischerweise keine weitere Offenbarung Gottes in dieser Welt geben, die etwa an Inhalten oder an Intensität über das gehen sollte, was uns in Jesus Christus geschenkt wurde.

Weder Jesus Christus selbst würde ein weiteres Mal erscheinen, um vielleicht noch "deutlicher" oder "tiefer" zu sprechen, um vielleicht andere, neue Inhalte zu offenbaren, die bislang eventuell noch nicht zur Sprache kamen. Noch wird irgendeine andere Person mit Recht jemals behaupten können, näher bei Gott zu stehen als die Person Christi. Ist Er ja als Sohn, als zweite Person des dreieinigen Gottes wesensgleich mit dem Vater, also wahrer Gott. Eine noch engere "Nähe" zu Gott ist unmöglich. Die Tatsache des stellvertretenden Sühnens, des heilbringenden Todes Jesu Christi bestätigt die Endgültigkeit und Vollkommenheit der christlichen Religion. Kann denn die ewige Liebe Gottes zum Menschen noch mehr unter Beweis gestellt werden als durch Seine selbstlose Hingabe am Kreuz? Deswegen erhebt das Christentum als Religion mit voller Berechtigung den Absolutheitsanspruch: "In keinem anderen ist das Heil. Denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir das Heil erlangen sollen" (Apg 4,12)!

Eine gewisse Sonderstellung innerhalb der positiven Offenbarung Gottes nimmt das Offenbarungswirken Gottes im Alten Bund ein. Auf der einen Seite entspricht dort einiges nicht dem Vollkommenheitsideal Jesu Christi, mußte Er ja doch während Seiner Predigttätigkeit gelegentlich Korrekturen anbringen. Trotzdem hat aber aus der Sicht Christi und der Kirche auch schon da der Heilige Geist sozusagen durch die Väter und Propheten gesprochen. Warum hat sich denn sonst Jesus ständig auf das Alte Testament berufen? Es wird also von Ihm als solches legitimiert, auch wenn Er einige dessen Aussagen teilweise abgelehnt. Insgesamt kann aus christlicher Sicht gesagt werden, daß der Alte Bund nicht vollkommen war, daß er das Volk auf den kommenden Erlöser hinweisen und es auf Ihn erst vorbereiten wollte. Deswegen erhält er von der Person Jesu Christi aus seine Legitimierung. Die vollkommene und endgültige Offenbarung Gottes an die Menschheit erging aber erst in der Gestalt Seines menschgewordenen Sohnes: “Auf vielfache und mannigfaltige Weise hat Gott vor Zeiten durch die Propheten zu den Vätern gesprochen. In dieser Endzeit hat Er durch Seinen Sohn zu uns gesprochen. [...] Er ist der Abglanz Seiner Herrlichkeit und das Abbild Seines Wesens. [...] Er hat die Erlösung von den Sünden vollbracht und sich dann zur rechten der Majestät in der Höhe gesetzt” (Hebr 1,1-3)! 

 

Der Dreieinige Gott

Da Gott an Sich, der Vater, im Himmel wohnt, und kein Mensch von sich aus zu Ihm vordringen kann, ohne daß Er sich vorher in Seinem Sohn, der doch die Offenbarung des Vaters ist, “vermenschlicht” hätte, muß daraus geschlossen werden, daß jedes authentische Sprechen des wahren Gottes zum Menschen - ob es sich nun um die natürliche oder die positive Offenbarung Gottes handelt - ein Sich-Mitteilen im Sohn, ein Werk des Sohnes Gottes ist! Sofern wirklich (und nicht bloß angenommen oder vermutet) Gott zum Menschen spricht, kann es demnach nur und ausschließlich der Sohn Gottes sein, der hier spricht. Sonst würde man nicht genügend der Tatsache Rechnung tragen, daß Gott an Sich über jegliche menschlichen Eingeschränktheit erhaben ist, daß Er absolut und Seinem Wesen nach transzendent ist! 

Zunächst ergibt sich daraus, daß der Sohn schon an der Schöpfung, an der Erschaffung des Weltalls und der ganzen vernünftigen Kreatur beteiligt war. Wenn “der Vater das Leben in Sich selbst hat” und “auch dem Sohn verliehen hat, das Leben in Sich selbst zu haben” (Joh 5,26), wenn dieser Vater gewissermaßen nicht “aus sich selbst heraus” kann außer in Seinem Sohn, dann hat Er auch die Welt in Seinem Sohn, und nicht getrennt oder unabhängig von Ihm, erschaffen: “Ihn (den Sohn) hat Er (der Vater) zum Erben über das All eingesetzt. Durch Ihn hat Er auch die Welt erschaffen” (Hebr 1,2). Im Prolog seines Evangeliums sagt Johannes, daß durch das “Wort” (den Sohn) “alles geworden ist, und ohne es ward nichts von dem, was geworden ist” (Joh 1,3), und daß “die Welt durch Ihn geworden ist” (1,10). Dieses “Durch Ihn” beinhaltet mehr als etwa eine bloß passive Teilnahme des Sohnes am Schöpfungswerk: “Alles, was der Vater hat, ist Mein” (Joh 16,15). Nicht zufällig spricht Petrus nach der Auferstehung Jesu nicht nur davon, daß die Israeliten in Ihm “den Heiligen und Gerechten verleugnet” hätten, sondern auch, daß sie “den Urheber des Lebens getötet” haben (Apg 3,14f.)! Jesus Christus wird hier eine aktiv lebenschaffende, d.h. schöpferische Tätigkeit zugeschrieben. Zwar wird in kirchlichen Glaubensbekenntnissen “Gott, der allmächtige Vater” als “Schöpfer des Himmels und der Erde” bezeichnet. Nur kann aber der Vater Sein schöpferisches Wirken, da es ja von Gott nach außen hin gerichtet ist, nur durch und in Seinem Sohn vollzogen haben! 

Ferner muß der erste Kontakt Gottes zu einem (vernunftbegabten) Menschen ebenfalls ein Werk des Sohnes gewesen sein. Auch wenn es vielleicht sogar vielen Christen ebenfalls nicht so richtig bekannt sein dürfte, hat Gott im gesamten Alten Testament zu den Menschen nicht anders als wiederum nur durch Seinen Sohn gesprochen! Adam und Eva waren Gott gegenüber ungehorsam, und zwar haben sie Gott in Seinem Sohn, d.h dem Sohn (und dadurch auch dem Vater!) nicht Folge geleistet. Abraham, Isaak und Jakob haben vom Sohn ihre Verheißungen empfangen; sie und die Propheten haben Seine, d.h. des Sohnes “Stimme” gehört. Zwar tut der Sohn getreu den Willen des Vaters kund, aber dennoch ist es Seine “Stimme”, die von uns vernommen wird. Paulus weist darauf hin, daß “unsere Väter” (beim Auszug aus Ägypten) unter der Wolke waren, durch das Meer zogen, in der Wolke und im Meer auf Moses getauft wurden, eine geistige Speise und einen geistigen Trank zu sich nahmen. “Sie tranken nämlich aus einem geistigen Felsen, der ihnen folgte. Der Fels war Christus” (1 Kor 10,1-5)! Sonst bliebe auch die Äußerung Jesu, “Abraham, euer Vater, freute sich darauf, Meinen Tag zu sehen. Er sah ihn und frohlockte” (Joh 8,56), unverständlich. Wenn Abraham im Geiste die (künftige volle) Menschwerdung Gottes schaute, dann mußte er wenigstens eine Ahnung davon gehabt haben, daß Der, welcher zu seinen eigenen Lebzeiten zu ihm sprach, derselbe - und kein anderer - Gott war, der später ganz die Menschennatur annahm, d.h. als wahrer Mensch geboren wurde! 

Dadurch ist auch die Kontinuität der Offenbarung Gottes im Alten und im Neuen Bund gegeben. Wie Jesus Christus nicht gekommen ist, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben (d.h. die überzeitliche Wahrheit des Alten Testamentes), sondern um sie zur Vollendung zu führen (vgl. Mt 5,17), so baut Sein gesamtes Heilswirken auf dem Wirken Gottes in der Zeit vor Seiner Geburt auf. Letztendlich setzt Er jetzt gewissermaßen nur das fort, was Er selbst vor Seiner Geburt, d.h. vor Seiner ganzheitlichen “Vermenschlichung” begonnen hatte. Im Hinblick auf die Lehre tut Gott im Neuen Bund das kund, was im Alten Bund entweder noch nicht offenbart wurde oder von den Menschen in seiner Bedeutung und Tragweite mißverstanden und somit verzerrt wurde. 

Jedenfalls stellt der christliche Glaube, das Christentum, nicht etwas völlig Neues dar, was zum bislang Offenbarten etwa in unaufhebbarem Widerspruch stünde, sondern er setzt im Prinzip lediglich das fort und vervollkommnet, was im Alten Bund noch nicht oder noch nicht klar genug zur Sprache kam. Daher kann jeder (überzeugte) Christ z.B. Abraham zusammen mit dem hl. Paulus als seinen Vater im Glauben nennen (vgl. Röm 4, v.a. 4,9-12) und sich mit der Glaubenswelt des Alten Testamentes verbunden fühlen! Nicht zufällig erschienen den drei Aposteln bei der Verklärung Jesu “Moses und Elias im Gespräch mit Ihm” (Mt 17,3), was auf Jesu vertrauten Umgang mit diesen schließen läßt. Anders wäre es auch nicht zu verstehen, warum Jesus vor allem die Pharisäer und Schriftgelehrten so streng getadelt hatte, da sie ja Ihm nicht glaubten bzw. nicht glauben wollten. Hätte Jesus Christus keinen inneren und inhaltlichen Bezug zur Glaubenswelt des Alten Bundes gehabt, hätte Er wirklich alles bis dahin Gewesene radikal verurteilen und ohne jegliche Ausnahme über Bord werfen wollen, dann hätten Seine Gegner in der Tat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht besessen, Ihn in Seinem Anspruch abzulehnen und Seine Lehre zu verurteilen. Da aber Jesus in Seiner Eigenschaft als Sohn Gottes sogar im Mittelpunkt des Heilswirkens im Alten Bund steht, haben in der Tat jene eine große Schuld auf sich geladen, die Ihn abgelehnt, verfolgt und dem Tode überliefert haben. 

 

Der Dreieinige Gott - der Heilige Geist 

Nach Seiner Auferstehung weilte der göttliche Erlöser noch 40 Tage unter den Jüngern und fuhr dann in den Himmel hinauf. Da Gott nun den Menschen den Zugang zum Paradies, d.h. zu Sich selbst grundsätzlich ermöglicht hatte, konnte Er doch die junge Kirche jetzt nicht Seiner Gegenwart berauben. Ist ja den Menschen durch das Leiden und Sterben Jesu Christi erst die Möglichkeit zu einem wahren und umfangreichen Leben mit Gott geschenkt worden. Zwar sollte Er Sich der Kirche durch die Himmelfahrt Seiner historisch-menschlichen Gestalt nach entziehen, trotzdem wäre es ein Widerspruch gewesen, hätte Gott sie nun (gänzlich) verlassen. Also mußte Seinen Jüngern Sein Zugegen-Sein auf eine andere Weise garantiert werden. 

Dabei durfte und konnte diese neue Gegenwart Gottes unter jenen Menschen, die an Ihn glaubten, nicht minder wertvoll oder weniger umfangreich sein als zur Zeit vor Seiner Himmelfahrt! Sonst wäre es ein Rückschritt in der Beziehung Gottes zu den Menschen gewesen, was nach der erfolgten Erlösung nicht angenommen werden kann. “Qualitätsmäßig” mußte nun das höchste Niveau und der größte Umfang im Hinblick auf das Sprechen Gottes zu den Menschen erreicht bzw. erhalten werden. 

Noch unter Seinen Jüngern weilend verhieß Er ihnen “einen anderen Beistand”, der nun immer bei ihnen bleiben soll, “den Geist der Wahrheit” (vgl. Joh 14,16). Die Jünger waren traurig, daß Jesus ihrer Mitte entrissen werden sollte, doch Er tröstete sie mit folgenden Worten: “Es ist gut für euch, daß Ich hingehe. Denn wenn Ich nicht hingehe, kommt der Beistand nicht zu euch; wenn Ich aber hingehe, werde Ich Ihn zu euch senden” (Joh 16,7). Von diesem “Geist der Wahrheit” sagt Jesus, daß Er “vom Vater ausgeht” (Joh 15,26). Dieses “Ausgehen” vom Vater muß also mehr bedeuten als bloße Sendung im Namen oder in der Autorität Gottes, der Geist muß in viel engerer Beziehung zum Vater stehen als ein Gesandter. Dieser Ursprung des Geistes, Sein “Ausgehen” vom Vater weist darauf hin, daß Er in ähnlicher Weise wie der Sohn etwas mit dem Innenleben Gottes zu “tun” hat. 

Jesus sagt, der Geist werde Ihn verherrlichen, “denn Er wird von dem Meinigen nehmen und es euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist Mein. Darum habe Ich euch gesagt: Er nimmt von dem Meinigen und wird es euch verkünden” (vgl. Joh 16,14f.). Neben der Abstammung aus dem Innersten Gottes (“Geist, der aus Gott stammt” - 1 Kor 2,12) steht der Geist auch mit dem Sohn in engster Verbindung: Er ist der “Geist der Wahrheit” (Joh 14,16), der “euch an alles erinnern wird, was Ich euch gesagt habe” (Joh 14,26), der “Zeugnis von Mir geben wird” (Joh 15,26) und “euch in alle Wahrheit einführen wird” (Joh 16,13). Sein “Lebensinhalt”, Sein “Existenzsinn” ist also das Heilswirken Gottes im Sohn bzw. die Fortsetzung dieses Wirkens in den Herzen der Christgläubigen! Demnach hat der Geist Anteil am ewigen Leben Gottes und vermittelt den Menschen durch Seine Aussendung jenes unerschaffene göttliche Leben, das uns im Sohn “sichtbar erschienen ist” (1 Joh 1,2)! 

Innertrinitarisch betrachtet spricht die Theologie von der Hauchung des Geistes durch den Vater und den Sohn. Der Vater ist das Prinzip und die Quelle der Hauchung, daran muß festgehalten werden. Aber auch der Sohn haucht, weil Er auf der einen Seite der Abglanz der Herrlichkeit und das Abbild des Wesens des Vaters ist (Hebr 1,3), somit ist alles, was der Vater hat, auch Sein. Auf der anderen Seite sagt Jesus selbst ganz deutlich, daß Er uns den Geist vom Vater senden werde (vgl. Joh 15,26). Also beschränkt sich Seine Funktion bei diesem Prozeß der Hauchung nicht auf reine Passivität. (Somit ist das “Filioque” im Credo der Hl. Messe theologisch gerechtfertigt.) 

Worin besteht aber diese “Hauchung” des Geistes, was ist ihr Inhalt? Wohl die gegenseitige liebende Hingabe des Vaters und des Sohnes zueinander! Der hl. Apostel Johannes sagt: “Gott ist die Liebe” (1 Joh 4,8.16). Der Vater und der Sohn sind nicht zu denken ohne diese Liebe, das Leben, das Sein Gottes besteht im ewig frischen Lieben, es ist lauter Liebe - eine ständige und ununterbrochene innergöttliche Aktivität! Und diese Hingabe aneinander wird vom Vater und vom Sohn so in vollkommener Weise vollzogen, daß ihre gegenseitige Liebe ihr Lebensprinzip, der Ausdruck ihres Wesens ist. Anders wäre Gott nicht Gott, anders wäre Er nicht heilig! Und diese ewige Liebe des Vaters und des Sohnes zueinander ist keine Sache oder ein bloß leerer Begriff, ein lediglich gedanklich angesetztes Gebilde. Auch ist sie nicht als ein neutrales Etwas anzusehen. Da Gott Leben, und zwar Leben schlechthin ist, kann auch das lebenstragende “Bindeglied” zwischen Vater und Sohn weder etwas von ihnen wesensmäßig Verschiedenes noch ein materieller oder rein ideeller Gegenstand sein. Da Gott nur als das Leben in Fülle erkannt werden kann, ist auch die gegenseitige Hingabe der göttlichen Personen aneinander eine Person gewordene (mit diesem göttlichem Leben erfüllte) Liebe - der Heilige Geist! Der Ausdruck, das “Ergebnis” der innergöttlichen Liebe kann ja nicht irgend etwas sein, was außerhalb Gottes ist. 

Somit vollziehen der Vater und der Sohn ihre Hingabe an- und ihre Liebe zueinander im und durch den Heiligen Geist, der seit Ewigkeit ihr Lebensinhalt und unentbehrliche Existenzgrundlage ist. Als die Liebe Gottes, die Liebe in Gott war der Heilige Geist schon vom göttlichen “Anfang” an (vgl. Joh 1,1) die dritte Person des dreieinigen Gottes. “Hauchen” ja der Vater und der Sohn nichts anderes als den Heiligen Geist! Somit besitzt dieser Geist gleich dem Vater und dem Sohn die göttliche Natur, Er ist Gott! 

Nun können wir die ganze enorme Tragweite des Pfingstfestes erahnen, wer der jungen Kirche an diesem hochheiligen Tag geschenkt wurde, und wessen wir dadurch teilhaftig geworden sind: “Der Geist ergründet alles, selbst die Tiefen der Gottheit [...] Niemand kennt das Innere Gottes als nur der Geist Gottes” (1 Kor 2,11f.)! Gott gab der jungen Kirche gewissermaßen am Tag ihrer Geburt nicht zwar ein wertvolles Geschenk mit auf den Weg, welches aber dennoch verschieden ist von Ihm. Im Heiligen Geist, der “durch unseren Herrn Jesus Christus in reichem Maß über uns ausgegossen” wurde (Tit 3,6), bereicherte uns Gott gewissermaßen mit einem authentischen Teil von Sich selbst, eröffnete und schenkte Er uns das Innerste Seines Wesens - die Liebe, in der und aus der Er selbst lebt, die als der Inbegriff Seines Wesens anzusehen ist! 

Somit haben wir nach dem geschichtlichen Ereignis der Menschwerdung und der Himmelfahrt Gottes wiederum (!) Anteil an Gott - im Heiligen Geist: “Wißt ihr nicht, daß ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt? [...] Der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr” (1 Kor 3,16f.)! Gott hat den Menschen nicht verlassen, sondern hat Sich noch enger mit ihm verbunden und vereinigt. Wenn aber “die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, der uns verliehen wurde” (Röm 5,5), dann hat Gott wenigstens in Seinen treuen Jüngern das heilsgeschichtliche Ziel der gesamten Schöpfung erreicht. Wurde ja der Mensch erschaffen, um Gott zu lieben und Ihm (allein) zu dienen, um auf diese Weise von Seiner beseligenden Gegenwart und Liebe erfüllt zu werden. Und die Herabkunft des Heiligen Geistes in die Herzen der Gläubigen setzt dem gesamten Heilswirken Gottes in Seinem Sohn die Krone auf, indem sie (endlich) sozusagen von innen heraus den Menschen an der unbeschreiblichen Glückseligkeit der Liebe Gottes teilnehmen läßt! 

Auch ist der Heilige Geist das Lebensprinzip der Kirche. Wie die Apostel an Pfingsten ihre bisherige Furcht überwunden haben und zu mutigen Bekennern Jesu Christi, des menschgewordenen Gottes, geworden sind (vgl. Joh 20,19; Mt 26,69-74), sollen wir auch aus diesem Grund das Ziel unserer sittlichen und asketischen Bemühung in der “Erwerbung” des Heiligen Geistes erblicken. Wird Er ja im Credo der Hl. Messe trefflich “der Herr und Lebensspender” genannt! 

Somit haben wir sowohl die Einheit Gottes als auch die Gottheit jeder einzelnen der drei voneinander verschiedenen göttlichen Personen samt ihrer gegenseitigen Beziehung zueinander aufgezeigt. Trotzdem muß uns bewußt bleiben, daß Gott uns in alle Ewigkeit ein Geheimnis bleiben wird, dem wir unbedingt in Ehrfurcht begegnen sollen. Denn Gott kann man nicht etwa nach der Art eines mechanischen Gerätes “zerlegen”, so daß dann außer Einzelteilen kein Ganzes mehr übrigbleibt. Angesichts Seiner Heiligkeit und demzufolge Seiner Erhabenheit über die Menschen und jede andere Kreatur muß sich das Geschöpf vor dem dreieinigen Gott verneigen und Ihm den Lobpreis Seiner Herrlichkeit darbringen. Wird ja der Heilige Geist “mit dem Vater und dem Sohn zugleich angebetet und verherrlicht” (Credo). Beugen auch wir vor Ihm unsere Knie und beten Ihn voll Inbrunst und Hingabe des Herzens mit den geheiligten Worten der Liturgie an: “Durch Ihn (Christus) und mit Ihm und in Ihm ist Dir, Gott allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Ehre und Verherrlichung, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen”! 

 

Die Gründung der Kirche

 Gott hat den Menschen als eine vernünftige Kreatur erschaffen, hat Sich ihm geoffenbart und ihm Seinen Willen kundgetan. Um Sich dem Menschen vollends mitteilen zu können, um die vom ihm begangenen Sünden zu sühnen und wiedergutzumachen, ist Er in Jesus Christus Mensch geworden und hat stellvertretend das Kreuz auf Seine Schultern genommen. Nach Seiner Himmelfahrt wurde auf die junge Kirche der Heilige Geist, der “die Tiefen der Gottheit ergründet” (1 Kor 2,10), herabgesandt, um die Jünger Christi mit der Kraft von oben auszustatten (vgl. Apg 1,8) und sie in alle Wahrheit einzuführen (vgl. Joh 16,13). 

Nun weilte aber Jesus Christus vergleichsweise ganz kurz in Seiner historischen Menschengestalt auf Erden, und auch da begegnete Ihm nur ein Bruchteil Seiner Zeitgenossen. Was ist aber mit der überwiegenden Zahl jener Menschen, die nicht das Privileg hatten, Jesus persönlich zu erleben, die nicht sahen, was die Jünger sahen, und nicht hörten, was die Jünger hörten, weswegen diese von Jesus auch selig gepriesen wurden (vgl. Mt 13,16f.)? Wie sollten jene, zu welchen z.B. auch wir heute gehören, mit Christi Heilslehre und Heilswirken in Berührung kommen, da Er ja nicht mehr in Seiner historischen Gestalt unter uns weilt? 

Außerdem wurden auch bei weitem nicht alle, die Ihm begegneten, “rein kraft des Wortes”, das Er zu ihnen gesprochen hatte (vgl. Joh 15,3). Ebenfalls nur eine auserlesene Schar (Seine Jünger) wurde am Pfingstfest “mit Heiligem Geist erfüllt” (Apg 2,4). Sollte es denn allen anderen Menschen verwehrt bleiben, an den seligmachenden Erlösungsgnaden Jesu Christi und am Heiligen Geist Anteil zu gewinnen? Sollte ihnen denn der Weg zum “ewigen Leben, das beim Vater war und uns sichtbar erschienen ist” (1 Joh 1,2), versperrt bleiben? 

Gott wäre nicht Gott, Er wäre nicht heilig und gerecht, wollte Er von Sich aus (d.h. bewußt und willentlich) jemand vom Heil ausschließen. Da “Er will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen” (1 Tim 2,4), da Er am Kreuz Seiner Intention nach für alle Menschen gestorben ist, muß es also einen Weg geben, die Früchte Seines Heilswirkens auch nach Seiner Himmelfahrt allen jenen, die Ihn aufrichtig suchen, zukommen zu lassen. 

Aus den Evangelien vernehmen wir, daß Jesus Christus Sich während Seiner Predigttätigkeit bemühte, die Zuhörer von der Wahrheit Seiner Worte zu überzeugen. Sie sollten Ihm Glauben schenken, sie sollten auf dem Weg zum Heil in Gott zunächst erkennen, daß Er die Wahrheit spricht, daß Er “Worte ewigen Lebens” hat (vgl. Joh 6,68). Und damit jene, die bereits zum Glauben an Ihn als den “Sohn des lebendigen Gottes” (vgl. Mt 16,16; Apg 8,37) fanden, sich als ein Kollektiv u.a. auch gegenseitig im Glauben erbauten, sammelte Er sie zu einer Gemeinschaft, gründete Er Seine Kirche (“ecclesia”, “Versammlung, die von Gott versammelte Gemeinde”). Wohl jeder weiß, wie wertvoll sich eine positive Erfahrung der Gemeinschaft Gleichgesinnter auf die Festigung des Glaubens Einzelner auswirken kann. Das Leben der ersten Christen legt ein beredtes Zeugnis davon ab (vgl. Apg 2,42-47). Nun hat Er es aber dabei nicht bewenden lassen. Aus der Schaar jener, die an Ihn glaubten, wählte Er noch eine besondere Gruppe aus, Apostel (=Abgesandte) genannt, die von Ihm den ausdrücklichen Auftrag erhielt, allen Völkern das Himmelreich zu verkünden (vgl. Mt 10,7; Mk 16,15) und diese zu lehren, alles zu halten, was Er ihnen geboten hat (vgl. Mt 28,18f.). Zwar sollen, ja müssen natürlich alle Jünger Jesu Interesse an der Verbreitung des christlichen Glaubens haben - allein die Erkenntnis seiner Einzigartigkeit und Heilsnotwendigkeit legt es schon nahe! 

Dennoch gilt dieser Auftrag für die Apostel in besonderer Weise! Werden ja in den gerade angeführten Schriftstellen sie angesprochen, richten sich diese doch ausdrücklich an sie! Also erging an die Apostel ein besonderer Missionsbefehl, der (zunächst) zum Inhalt hat, die Menschen über Sein Leben und Wirken zu unterrichten, ihnen Seine Gebote, die auf die sittliche Erneuerung in Gott zielen, zu erklären - d.h. sie im Glauben zu lehren. 

Nun beschränkte sich aber der Auftrag Christi an die Apostel nicht allein auf das (verbale) Predigen des Evangeliums. Es heißt nämlich u. a.: “Macht alle Völker zu Jüngern, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters...” (Mt 28,19). Demnach wird die Jüngerschaft Christi nicht schon durch das Hören und die Bejahung der apostolischen Lehre erlangt, sondern erst durch den (darauf folgenden) Vollzug der Taufe! Und die Taufe als sakrale Handlung soll der Intention Christi nach die geistige Wiedergeburt, die sittliche Erneuerung des Menschen in Gott bewirken (vgl. Joh 3,3-5; Mk 16,16). 

Und die Kraft, die Erlösungsgnade Christi mitzuteilen, erhält die Taufhandlung letztendlich aus der Tatsache, daß sie von niemand anderem als vom göttlichen Erlöser selbst eingesetzt wurde. Er allein besitzt die Vollmacht und die Fähigkeit, solch Gewaltiges zu bewirken; Er allein ist heilig und am Kreuz für uns gestorben! Nicht zufällig hat dieses von Christus eingesetzte Heilmittel in der Kirche die Bezeichnung “Sakrament” erhalten. Da sie “Geheimnis” bedeutet und von “sacer, sacrum - heilig” abgeleitet wird, weist sie auf etwas Heiliges, Göttliches hin, was nicht alltäglich ist und welchem mit Ehrfurcht begegnet werden muß! Somit kommt zum Auftrag Christi an die Apostel, die Menschen im Glauben zu unterrichten, auch die ausdrückliche Sendung hinzu, das Heil mittels der von Ihm eingesetzten Sakramente2 zu vermitteln - beides wird in demselben Atemzug ausgesprochen! Die Unterweisung der Menschen zielt auf ihre Erneuerung in Gott, die ihrerseits nicht allein auf die persönliche Willensentscheidung der Menschen zurückzuführen ist, sondern auch und vor allem auf den göttlichen Ursprung und die übernatürliche Wirkkraft der Taufe. 

Denn die sittliche Grundverschiedenheit zwischen dem allheiligen Gott und dem sündhaften Geschöpf ist nämlich zu groß, als daß sie allein durch ein Wort oder eine Willensbekundung seitens des Menschen überbrückt werden könnte! So erscheint (auch) bei der konkreten Zuwendung der Erlösungsgnaden an und bei der Wirksam-Werdung der Erlösung am einzelnen nicht der Mensch, sondern Christus als die eigentliche Quelle und Wirkursache der sich hier und jetzt tatsächlich vollziehenden Erneuerung in Gott! 

 

Die Aufgabe der Kirche 

Somit hat die Kirche als Stiftung Christi auch den Auftrag erhalten, die von Ihm am Kreuz verdienten Erlösungsgnaden an jene weiterzuleiten und sie ihnen erst zugänglich zu machen, die nicht mit Seiner historischen Gestalt in Berührung gekommen sind. Sie soll das Licht des Evangeliums in die Welt hineintragen, den Gläubigen das neue Leben vermitteln und in ihnen die zarte Pflanze des Glaubens hegen und pflegen. 

Man bedenke, mit welcher erhabenen und in heilsgeschichtlicher Hinsicht wichtigen Aufgabe sie betraut wurde. Sie soll die Freundschaft zwischen Gott und Mensch, zwischen Himmel und Erde wiederherstellen. Von ihr wird nichts geringeres erwartet, als unter den Menschen das Heilswirken Jesu Christi fortzusetzen! Das ist ihre ureigenste Aufgabe, von der sie niemand entbinden kann, am wenigsten sie selbst. Somit erhielt die Kirche eine äußerst wichtige Rolle im Heilsplan Gottes! Zwar ist sie nicht die Ursache des Heils - diese ist Jesus Christus allein, nur Er ist der Erlöser. Aber die Kirche spielt eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung des göttlichen Heils. Da sie den (ausschließlichen) Auftrag zur Glaubensverbreitung und- Unterweisung für den Zeitraum nach Seiner Himmelfahrt erhielt, tritt sie in der Heilsordnung Gottes an Seine Stelle, nimmt sie gewissermaßen Seinen Platz ein. Das kirchliche Amt beinhaltet in seiner sakralen Ausübung die Stellvertretung Christi: “Wer euch hört, der hört Mich; wer euch verwirft, der verwirft Mich; wer aber Mich verwirft, der verwirft Den, Der Mich gesandt hat” (Lk 10,16)! 

Entscheidend hierfür ist, daß die Apostel von Christus gesandt wurden: “Im Amt des ntl. Apostolats (zunächst im engeren, aber auch im weiteren Sinne) kommt der Grundsatz: ´Der Gesandte ist wie der Sendende´, zur Geltung. Darum ist erst notwendig eine autoritative Sendung, d.h. für die Apostel im engeren Sinn Sendung durch Christus (Mk 3,14 par.; Mt 28,19), über Den die Sendung auf den Vater zurückgeht (Mt 10,40; Joh 13,20)” (LThK, 1.Band, Sp.735, Freiburg 1957). 

Daraus wird auch ersichtlich, daß jeder Mensch, der zu Gott finden will, auf die Kirche angewiesen ist! Denn (nur) sie erhielt den Missionsauftrag von Christus, ihr (allein) wurden die hl. Sakramente anvertraut, wodurch die göttliche Heilsgnade vermittelt, vermehrt und gestärkt wird. Wie Jesus Christus der einzige Weg zum Vater ist, so ähnlich öffnet auch die Kirche Christi allein das Tor zu Ihm, dem göttlichen Erlöser (und durch Ihn zum Vater). In diesem Sinn trifft der bekannte Grundsatz mit voller Berechtigung zu: “extra ecclesiam nulla salus - außerhalb der Kirche kein Heil”! Auch der Herr selbst ist in gewissem Grad auf sie angewiesen, da der Erfolg der Mission ja auch vom Eifer und von der Überzeugungskraft der kirchlichen Glaubensboten abhängt. Lediglich in (äußerst seltenen) Ausnahmefällen greift Er direkt ein, so bei Saulus/Paulus. Aber auch da mußte der Betroffene von der Kirche weiter unterwiesen und getauft werden (vgl. Apg 9,6.18). Es ist nicht Arroganz und Anmaßung, wenn sich die katholische Kirche schon immer als der fortlebende Christus verstanden hat. Handelt es sich ja hier nicht um einzelne Kirchenmitglieder als Privatpersonen, sondern um das apostolische Amt in der Kirche, um die Kirche als Heilseinrichtung Christi! 

Da auf Erden existierend und aus Menschen bestehend muß sich die Kirche - je nachdem, ob notgedrungen oder sogar geboten - auch um viele Bereiche des alltäglichen profanen Lebens kümmern (leibliches Wohlergehen, Finanzen, Verwaltung, Organisation usw.). Denn der Mensch lebt zwar nicht von Brot allein (vgl. Mt 4,4), aber auch von Brot. Trotz dieser teilweise sogar berechtigten Sorgen und Anliegen darf sie aber auf keinen Fall vergessen, worin ihre eigentliche Aufgabe besteht! Zur Zeit Jesu gab es viele Arme und rechtlich Benachteiligte unter dem Volk. Schon das Alte Testament hat vielfach seine Solidarität mit ihnen bekundet. Und auch Jesus schenkte ihnen Seine Sympathien: im Gleichnis vom reichen Prasser wird dieser von Gott verworfen und ein Armer namens Lazarus nach seinem “Tod von den Engeln in den Schoß Abrahams getragen” (Lk 16,19-25). Von Mitleid mit einer Witwe, die ihren einzigen Sohn verlor (und dadurch schutz- und wehrlos wurde), ergriffen, ließ Er diesen wieder zum Leben auferstehen (vgl. Lk 7,11ff.). Und dennoch vergaß Jesus nicht, vor allem auf die “Armen im Geiste” hinzuweisen. Diese werden selig gepriesen, die sich selbst für Bettler vor Gott halten und auch kein (ungeordnetes) Verlangen nach irdischem Reichtum besitzen, “ihrer ist das Himmelreich” (Mt 5,3)! Für Ihn ist eben nicht das äußere Arm- oder Reich-Sein entscheidend, sondern immer nur die religiöse Komponente - wie der Mensch vor Gott steht (und stehen will)! Somit darf sich auch die Kirche Christi nicht etwa der sogenannten modernen Befreiungstheologie verschreiben, die Arm gegen Reich aufhetzen (und einen bewaffneten Kampf zwischen beiden rechtfertigen) möchte. 

Obwohl Seine Volksgenossen im allgemeinen eher karg als luxuriös lebten, sind von Jesus bezeichnenderweise auch keine Äußerungen über Landwirtschaft oder Ackerbau überliefert worden. Zwar hat Jesus durch die wunderbare Brotvermehrung eine große Menschenmenge gesättigt, die Ihm folgte und in der Wüste hungerte. Aber diese Sättigung diente Ihm als Einleitung zur sogenannten Eucharistischen Rede, in deren Mitte Er selbst als das wahre Lebensbrot und Seelenspeise steht (vgl. Joh 6). Demzufolge dürfen auch die an sich lobenswerte Entwicklungshilfe (zur Selbsthilfe!) und die für die christliche Lebensgestaltung äußerst wichtigen Werke der Nächstenliebe nicht von dem eigentlichen Auftrag der Kirche ablenken, schließlich doch für das Seelenheil der Menschen Sorge zu tragen. Bezeichnenderweise schickte Sich Jesus auch nicht an, die Sklaverei oder irgendeine andere Ungerechtigkeit des damals bestehenden Systems etwa mit äußerer Gewalt abzuschaffen. Nicht daß Er irgendein Unrecht anerkannt oder gutgeheißen hätte, bisweilen hat Er dieses auch hart gegeißelt. 

Aber Er wählte einen anderen Weg, sie zu beseitigen. Seine Absicht war, alle Beteiligten möchten vor allem durch die innere Erneuerung in Gott die Mißstände einer beliebigen politischen Ordnung überwinden. Durch Gerechtigkeit in ihrem Denken und Handeln, durch rechte Grundhaltung sollten die Menschen jedes Unrecht sozusagen “aushungern” lassen, ihm den Boden entziehen! Wohl deshalb machte Er auch keine Anstalten, zwischen Juden und Römern oder auch zwischen Herodes und Pilatus zu vermitteln, die ebenfalls miteinander verfeindet waren (vgl. Lk 23,12). Zwar darf und muß (!) sich die Kirche sogar bei entsprechenden Veranlassungen mit der Tagespolitik beschäftigen, um etwa das Recht in Staat und Gesellschaft durchzusetzen und das Unrecht abzustellen. Dennoch darf sie unter keinen Umständen ihr Hauptbeschäftigungsfeld in der politischen Tätigkeit erblicken! 

Nein, in Entsprechung zur Lehre und zum Beispiel ihres göttlichen Gründers muß es der Kirche Christi hauptsächlich darum gehen, den Menschen auf seine folgenschwere Disharmonie zu Gott hinzuweisen, ihn zur Umkehr und geistigen Erneuerung in Gott aufzurufen und ihm die entsprechenden Gnadenmittel anzubieten. (Dann erweist sie auch der Gesellschaft den besten Dienst!) Wohl darf, soll und muß sie sich bisweilen auch in anderen Lebensbereichen engagieren, denn ihr Interesse hat ja dem Gesamtwohl der Menschen zu gelten. Nur darf sie niemals vergessen, zu welchem Zweck sie letztendlich von ihrem Haupt Jesus Christus gestiftet wurde! 

 

P. Eugen Rissling


 


1Jesus sagt bezeichnenderweise “eins” und nicht “einer”. Es geht Ihm hier darum, auf die Gemeinschaft mit dem Vater hinzuweisen; davon, daß vollkommene Identität der Personen vorliegt, kann keine Rede sein! 

2Neben der Taufe gibt es noch andere von Christus eingesetzte Gnaden- und Heilmittel, auf die wir aber hier nicht näher eingehen.

 

 

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