Die teuflische List


Teil 2

Noch gefährlicher, weil noch verschlagener, erscheint der Teufel bei der zweiten Versuchung Jesu. Knüpfte er beim ersten Mal noch an ein natürliches Bedürfnis, hier an Hunger, an, um durch dessen (Über-)Betonung bei Jesus Christus (Seiner menschlichen Natur nach) die Minderung des Vertrauens zu Gott herbeizurufen (vgl. „Beiträge“/31, S.4-6), die ihrerseits dann als der erste Schritt zum gänzlichen Abfall von Ihm dienen sollte, erweckt er bei der nächsten Versuchung den Anschein eines Frommen, eines Gottesfürchtigen. 

Jesus wehrt ja die erste Versuchung mit einem Zitat aus der Heiligen Schrift ab. Damit unterstreicht Er ihre Autorität, die sie im jüdischen Volk besaß, und bestätigt, dass Er diese auch vollends anerkennt. 
Außerdem dürfen wir mit absoluter Sicherheit davon ausgehen, dass der Teufel bis in alle Details die Kritik Jesu verstanden hat, dass ihm die innere Logik der Argumentation Jesu keinesfalls verborgen blieb. Somit geht er nun auf diese Kritik voll und ganz ein und bringt seine zweite Versuchung an. „Dann nahm Ihn der Teufel mit in die heilige Stadt, stellte Ihn auf die Zinne des Tempels und sagte zu Ihm: ´Bist Du Gottes Sohn, so stürze Dich hinab. Es steht ja geschrieben: Seinen Engeln gebot Er Deinetwegen. Sie werden Dich auf Händen tragen, damit Du Deinen Fuß an keinen Stein stoßest´“ (Mt 4,5f.) 

Er will damit sagen: wenn Du Dich aus Angst, das (gesunde) Vertrauen zu Gott zu verlieren, weigerst, zum Zweck der eigenen leiblichen Sättigung Steine in Brot zu verwandeln, und Dich dabei noch auf die Heilige Schrift berufst, dann solltest Du gerade jenes Wort der von Dir anerkannten Schrift beherzigen, in dem es vorzugsweise um eben dieses Vertrauen zu Gott geht. Um sich darin zu bewähren und dieses Vertrauen auf die Hilfe Gottes in jedem Fall unter Beweis zu stellen, solltest Du Dich nun eigentlich von der Zinne des Tempels hinabstürzen. Es steht ja in diesem Psalm 90,11f. geschrieben, Er werde einen jeden Frommen beschützen und ihm keinen Schaden zustoßen lassen. Um wie viel mehr muss das dann von Dir gelten, der Du doch den Anspruch erhebst, „Gottes Sohn“ zu sein. 

Wir sehen, wie der Versucher Jesus mit der List zu vereinnahmen sucht. Geht Jesus nicht auf diese scheinbar so logische Schlussfolgerung des Teufels ein, würde es danach aussehen, als hätte Er eben doch kein Vertrauen zu Gott, obwohl Er vorher noch selbst von der Notwendigkeit dessen Besitzes so eindringlich sprach. Nun geht aber Jesus wiederum nicht auf das Argument Seines Widersachers ein. Er kontert ihm mit einem anderen Wort der Heiligen Schrift, das Dt 6,16 entnommen ist: „Jesus sagte zu ihm: ´Es steht auch geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ (Mt 4,7). Seine Antwort bedeutet: Wenn Ich darauf eingehen würde, was zu tun du Mir vorschlägst, dann würde Ich nicht den Beweis Meines besonderen und außergewöhnlichen Gottvertrauens erbringen, sondern das Gegenteil davon. Ich würde dann der Versuchung zur Entzweiung, zum Abfall erliegen. Denn Gott lässt Sich niemals zu irgendetwas zwingen! Er allein ist der unbeschränkt waltende Herr. Er lässt Sich Seine Hilfe vom Menschen nicht genau berechnen oder vorschreiben, sonst wäre Sein helfendes und rettendes Eingreifen keine frei geschenkte Gnade mehr! 

Und wollte sich der Mensch auf diese Weise Gott in Dienst nehmen, würde er demzufolge einen Anspruch auf Ihn, auf Seine Hilfe und Gnade erheben und sich dadurch irgendwie über Ihn stellen bzw. Ihn wenigstens zu einem Teil beherrschen und manipulieren wollen! Und was von jedem Menschen gilt, gilt ebenso von Jesus Seiner menschlichen Natur nach. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“! Womit der Teufel bei der zweiten Versuchung Jesus zu Fall bringen will, ist die Verdunkelung bzw. Vernichtung jeglicher klar definierten moralischen Begriffe! Dadurch dass er sich auf die Schrift beruft und aus ihr zitiert, dadurch dass er mit sonst üblichen religiösen Begriffen argumentiert und sich demonstrativ auf sie stützt, will er den Eindruck eines großen Schriftgelehrten und Gottesfürchtigen erwecken. Und dies soll nach seiner perversen Intention dazu dienen, in Jesus den Glauben an die Oberhoheit, an die Alleinherrschaft Gottes zu vernichten! Weiß man nicht mehr genau, was gottwohlgefällig und was gottwidrig ist, ist es nicht mehr eindeutig, was von Gott gefordert und was von Ihm verworfen wird, wird auch der überzeugte Glaube an Ihn und das felsenfeste Vertrauen zu Ihm vernichtet. Wird der Versuch unternommen, die einzelnen Stellen der Heiligen Schrift gegeneinander auszuspielen, kommt man auch zu Zweifeln an der Autorität und Verbindlichkeit der ganzen Schrift. Damit ist dann aber auch die moralische Verwirrung perfekt! Und diese wollte der Teufel mit seiner zweiten Versuchung bei Jesus zum Zweck der Entfremdung von Seinem himmlischen Vater bewirken. 

 „Sodann nahm Ihn der Teufel auf einen sehr hohen Berg, zeigte Ihm alle Reiche der Welt samt ihrer Herrlichkeit und sagte zu Ihm: ´Dies alles will ich Dir geben, wenn Du niederfällst und mich anbetest.´ Da gebot ihm Jesus: ´Hinweg, Satan! Es steht geschrieben: Den Herrn, Deinen Gott, sollst du anbeten und Ihm allein dienen´“ (Mt 4,8-10). Zweimal ist der Teufel bisher gescheitert, weder die Vorspielung scheinheiliger Sorge um das Wohlergehen Jesu noch das Zur-Schau-Tragen eines angeblich besonders religiösen Eifers haben ihm geholfen, sein gestecktes Ziel zu erreichen. Jesus durchschaute seine sprichwörtlich teuflische List und erteilte ihm eine glasklare Abfuhr. Wohl im Bewusstsein seiner Ohnmacht Jesus gegenüber startet der Teufel nun den dritten Versuch, Jesus (der menschlichen Natur) nach von Gott abzubringen. Dabei legt er jetzt jegliche Maske der Menschenfreundlichkeit und Scheinheiligkeit ab und bringt unverhüllt das zur Sprache, um was es ihm eigentlich schon von Anfang an gegangen ist: die Stelle Gottes einzunehmen! Er verschleiert diesmal nicht im Geringsten seine wahre Intention und versucht, Jesus gewissermaßen mit einem Frontalangriff zu überrollen und zu Fall zu bringen. 

Zwar besitzt er schon die Macht und die Herrschaft über diese „Welt“, die gottferne Welt, sonst hätte er sie Jesus auch nicht anbieten können. Wird er ja von Ihm an einer anderen Stelle des Evangeliums als der „Fürst dieser Welt“ bezeichnet (vgl. Joh 12,31; 14,30; 16,11). Aber er will darüber hinaus und vor allem auch noch die moralische Oberhoheit und die geistige Herrschaft erlangen, die sich an sich allein in den Händen Gottes befindet und befinden können. Mit anderen Worten: der Teufel will Gott entthronen und sich an Seine Stelle setzen, er will als Gott verehrt werden, in seiner erschreckenden Arroganz und maßlosen Überheblichkeit will er Gott sein! 

Und dieses Ziel kann er nur erreichen, wenn Jesus in Seiner Eigenschaft als „Gottes Sohn“ ihn bei diesem wahnsinnigen Unterfangen unterstützt und Seine Knie vor ihm beugt: „Wenn Du niederfällst und mich anbetest“. Die an sich widersprüchliche Logik des Teufels besteht nämlich darin, dass Gott selbst durch Seinen eingeborenen und wesensgleichen Sohn auf die eigene moralische Oberhoheit und geistige Herrschaft verzichten und sie statt dessen ihm, dem Teufel, übertragen sollte. Dann wäre er in der Konsequenz von der obersten moralischen Instanz als „Gott“ eingesetzt worden, die dafür selbst den Anspruch, Gott zu sein, aufgegeben hätte. 

Aber nicht nur das. Gott hätte dann Seinen berechtigten Anspruch, Gott zu sein, nicht bloß ruhen lassen, sondern wäre durch die Übernahme der (weltlichen) Herrschaft über „alle Reiche der Welt samt ihrer Herrlichkeit“ an die Stelle des Teufels getreten und hätte seine jetzige Position eingenommen! Wir sehen hier, welche abgrundtiefe Bosheit dem Teufel bei seiner Planung zugrunde lag, welche himmelschreiende Perversion er vorhatte. 

Indirekt aber stellt dieser dritte Versuch des Teufels, den Thron Gottes zu usurpieren, ein Eingeständnis seiner prinzipiellen Unterlegenheit vor Gott dar. Denn warum hätte er sich denn sonst danach gesehnt, Seine Stelle einzunehmen, warum wäre er sonst bereit gewesen, als Preis dafür sogar die Herrschaft über „alle Reiche der Welt“ an jemand anders abzutreten? Ohne es wohl beabsichtigt zu haben, hat er mit dieser Versuchung Jesu die moralische Überlegenheit Gottes anerkannt und bestätigt. Und diese betont auch Jesus bei Seiner Antwort auf die Anmutung des Teufels: „Da gebot ihm Jesus: ´Hinweg, Satan! Es steht geschrieben: den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und Ihm allein dienen´“ (Mt 4,10). „Schon hier zeigt sich, dass die größere Macht in Ihm wohnt und dass Er gebieten kann selbst über den, der sich im Besitz der Welt glaubt. Ein schlichtes und klares Befehlswort genügt, um Satan aus dem Felde zu schlagen. Jesus tut das anscheinend im eigenen Namen...“2

Es bedarf keiner außergewöhnlichen Beobachtungsgabe, um ähnliche Situationen, in welcher sich Jesus während der drei Versuchungen befand, auch in unserem Leben zu erblicken und wahrzunehmen. Bei Jesus eine Niederlage erlitten, versucht der Teufel nun bei Seinen Jüngern, diese zu Fall zu bringen und Gott abspenstig zu machen, um sich als deren Herrn und Gebieter aufzuspielen zu können. Sind wir denn zunächst nicht auch schon mal mit dem Argument konfrontiert worden, dies oder jenes sei ein natürliches Bedürfnis des Menschen, dem man doch unbedingt nachgehen sollte? Dabei wird nicht zwischen solchen und solchen Bedürfnissen differenziert - alles wird über einen Kamm geschoren. Wird denn nicht auf diese Weise z.B. seit einigen Jahrzehnten unter dem Vorwand der Selbstverwirklichung und sexuellen „Aufklärung“ vor allem die junge Generation zur sexuellen Ausschweifung und Unbeherrschtheit er- bzw. verzogen, so dass Begriffe wie voreheliche geschlechtliche Enthaltsamkeit, Selbstbeherrschung und vernünftige Schamhaftigkeit heutzutage eher seltener zum Vokabular und zur Mentalität junger Leute gehören? Selbstverständlich ist auch auf diesem Gebiet einiges natürlich, naturbedingt, aber nur innerhalb bestimmter Grenzen, die es um der guten Sache selbst willen unbedingt einzuhalten gilt! 

Ferner staunt man nicht selten, mit welcher Raffinesse eine ganze Reihe von Handlungsweisen, die früher zu Recht als Sünde und Untat, als falsch und verwerfungswürdig galten, in der Gegenwart geradezu als zum guten Ton gehörend und deshalb als erstrebenswert präsentiert werden. So „verwandelt“ sich heute z.B. die religiöse und moralische Gleichgültigkeit zur besonders noblen Toleranz und Menschenfreundlichkeit, der Kindermord im Mutterleib zum „Schwangerschaftsabbruch“, zu einer Krankheit, die es auf Krankenschein zu „heilen“ gilt, sexuell ausschweifender Lebenswandel und die eheliche Untreue zu „naturbedingten Grundbedürfnissen“ bzw. zur angeblich unerlässlichen Selbstverwirklichung des Menschen. 

Auch im kirchlichen Bereich gibt es eine beachtliche Zahl von Umdeutungen: Das Heilige Messopfer wird zum Gemeinschaftsmahl, die Taufe zum symbolischen Aufnahmeritus in die kirchliche Gemeinschaft umfunktioniert, der Glaube an die reale Gegenwart Christi im Altarsakrament - sofern sie überhaupt gegeben ist - zur Idee einer rein symbolhaften Anwesenheit Gottes uminterpretiert. Diese Auflistung kann beinahe beliebig lang fortgesetzt werden. Besonders boshaft und gefährlich erscheint diese Verwischung von wesentlichen Grundbegriffen auch deshalb, weil dabei die Oppositionen zur heutigen „fortschrittlichen“ Denkweise in treuer Nachahmung der Vorgehensweise des Teufels bei den Versuchungen Jesu nicht nur als menschenfeindlich, sondern nicht selten auch als geradezu unchristlich dargestellt wird! Die Treue zu christlichen Grundprinzipien wird medienwirksam (!) als unchristliches Verhalten gebrandmarkt. 

Deshalb ist es heute für alle, die authentisches christliches Gedankengut bewahren, d.h. Christen sein und bleiben wollen, ein besonders aktuelles Gebot der Stunde, sich um den von den Aposteln her überlieferten kirchlichen Glauben und eben diese Grundprinzipien zu kümmern und sich mit ihnen in positiver Absicht auseinanderzusetzen. Denn bewähren im Sinne Christi werden wir uns gegen die Anfechtungen des bösen Geistes nur dann können, wenn wir uns unter anderem auch selbst darum bemühen, mit der Waffenrüstung Christi ausgerüstet zu werden: „Legt die Waffenrüstung Gottes an, damit ihr den Ränken des Teufels widerstehen könnt. Unser Kampf gilt ja nicht Fleisch und Blut, sondern den Mächten und Gewalten, den finsteren Weltherrschern und den bösen Geistern in den Himmelshöhen. Legt darum die Waffenrüstung Gottes an. Nur so könnt ihr am bösen Tag Widerstand leisten, alles niederkämpfen und das Feld behaupten“ (Eph 6,11-13)! 

 

P. Eugen Rissling



2Trilling, W., Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teil. Patmos Verlag Düsseldorf, 1962, S. 71.

 

 

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