Der Investiturstreit


❶ Im 11. Jahrhundert wurde Europa Zeuge von Ereignissen, die das Verhältnis zwischen Kirche und Staat komplett umkehrten und so die Weichen für dieses Verhältnis bis hin zur großen Säkularisation 1803 stellten. Es ist dies der so genannte Investiturstreit. Der Papst hing nicht mehr vom Kaiser ab, sondern übernahm jetzt die geistige Vorherrschaft über das Kaisertum. 

Kaiser Karl d. Gr. (768-814) hatte ein Reich gegründet, das über die Grenzen der einzelnen Staaten hinausging und praktisch das ganze Abendland umfasste. Es sollte aber nicht nur territorial allumfassend sein, sondern auch die beiden Kräfte darin, Kirche und Staat, sollten eine Einheit bilden. So wie alle Nationen in einem Reich zusammengefasst waren, so sollte auch die kirchliche und die weltliche Macht vereinigt werden. Dem Kaiser kam dabei die Rolle des Schutzherrn der Kirche zu, was ihm einen gewissen religiösen Charakter gab. Diese religiöse Funktion wurde ihm von der Kirche zuerkannt, da er vom Papst feierlich während einer liturgischen Zeremonie gekrönt wurde, einer Zeremonie, die der Bischofsweihe sehr ähnelt. 

Nach dem Tod Karls verfiel dieses Reich allmählich und erst unter Kaiser Otto d. Gr. (936-973) erholte es sich langsam wieder, wenn auch nicht zu seiner ursprünglichen Größe (das gesamte Westreich fehlte). Die Macht des Kaisers war jetzt nicht mehr zu vergleichen mit der Karls d. Gr., der keinen Ebenbürtigen neben sich gehabt hatte. Seine Beamten hatten ganz in seinem Namen nach seinen Anordnungen gehandelt. Jetzt war aber ein neues Verwaltungssystem aufgekommen, das Lehnswesen. Neben dem König standen nun die Herzöge der einzelnen Länder, unter den Herzögen die Grafen, die eigene Herren auf ihrem Grund und Boden waren. Um wirklich regieren zu können, brauchte der König die Unterstützung dieses “Verwaltungsapparates“.

Als Lehensherr “lieh” der Kaiser bzw. der König die Ländereien seines Reiches an die Fürsten, die ihm als Gegenzug versprechen mussten, im Falle eines Krieges an seiner Seite zu kämpfen. Die Fürsten waren sowohl weltliche als auch geistliche Fürsten (Bischöfe). Während die weltlichen Fürsten ihre Macht an ihre Nachkommen weitervererben konnten, war das bei den geistlichen nicht der Fall. Außerdem leisteten die Bischöfe oft gewissenhaftere Verwaltungsarbeit als die weltlichen Fürsten. Daher kam es, dass der König es oft bevorzugte, seine Güter geistlichen Fürsten anzuvertrauen, weil sie dann bei dessen Tod automatisch an ihn zurückfielen. Dadurch dass jetzt ein und derselbe Bischof sowohl den Hirtenstab der Kirche als auch das Schwert eines weltlichen Herrschers in der Hand hielt, gewann die Kirche natürlich an Einfluss. Allerdings bedeutete dies aber auch eine Stärkung des Königtums selber, da ja dem König die Ernennung der Bischöfe zu Reichsfürsten zustand. 

Diese Ernennung oder “Einkleidung” in die Ämter nennt man auch Investitur. Und weil der König, der die Bischöfe in ihre Ämter “einkleidete”, ein Laie war, so spricht man genauer von Laieninvestitur. Die Laieninvestitur ist also “die Einkleidung (…) eines Geistlichen (Bischofes, Abtes) in ein weltliches Amt durch eine weltliche Behörde” (Ender, Die Geschichte der Katholischen Kirche, Benziger 1913, S. 334). 

Dieses System stellte große Gefahren vor allem für den Klerus und die Kirche ganz allgemein dar: die Kirche war zu sehr verwickelt in weltliche Geschäfte und geriet immer mehr in Unfreiheit und Abhängigkeit vom Staat. Die Bischöfe erlagen oft der Versuchung, ein allzu weltliches Leben zu führen. Immer häufiger kam es auch vor, dass Bischöfe dem König Geld boten, um eine bestimmte Position zu erhalten. Das wiederum hatte zur Folge, dass nicht selten einem würdigen Kandidaten ein reicherer vorgezogen wurde.

In der Apostelgeschichte lesen wir, dass ein gewisser Zauberer namens Simon dem Apostel Petrus Geld bot, um sich die Kraft, Wunder zu wirken, zu erwerben. Daher nennt man “den Kauf und Verkauf geistlicher Güter und solcher Güter, welche mit geistlichen Gütern verbunden sind“ (Ender, 334), auch “Simonie”. 

Nicht zuletzt lag die Ursache für diese Missstände auch darin, dass Priester und Bischöfe sich nicht an den Zölibat hielten, d.h. nicht ehelos lebten. Nicht nur die Aussicht auf Reichtum verleitete sie daher dazu, sich in bestimmte Positionen einzukaufen, sondern auch die Sorge um Frau und Kind, der Wunsch, den Söhnen möglichst ertragreiche Ämter zu beschaffen oder die Angehörigen und Verwandten zu angesehenen Stellen zu befördern. 

Mit dem oben erwähnten Verfall des Reiches nach dem Tod Karls d. Gr. verfiel auch das geistliche Leben der Kirche. Es wurde immer deutlicher, dass die Kirche einer Reform bedurfte. Ganz besonders bemüht um diese Reform war Cluny, ein Kloster in Südfrankreich. Zunächst wollte man vor allem das Klosterleben wieder in seiner ursprünglichen Reinheit herstellen. Als sich aber mehr und mehr andere Klöster der Bewegung anschlossen und dem Beispiel von Cluny folgten, wurde auch der Weltklerus von dem Reformeifer ergriffen. Immer weitere Kreise zog der Geist von Cluny, bis auch Papst Leo IX (1049-1054) sich diesem anschloss und die Reform damit selbst in die höchsten kirchlichen Stellen vordrang. 

Als Leo IX auf einer seiner Reisen auch nach Cluny kam, nahm er einen der eifrigsten Mönche mit sich nach Rom, den Mönch Hildebrand (später Papst Gregor VII). Hildebrand fügte der Reform noch ein neues Element hinzu. Bisher hatte die Reform nur das Mönchtum und den Klerus betroffen. Jetzt aber sollte die Kirche als Ganzes mit hineingezogen werden. Sie sollte frei werden von der weltlichen Gewalt, in deren Abhängigkeit sie vor allem durch die Laieninvestitur so sehr geraten war.

❷ 1073 wurde Hildebrand zum Papst gewählt - wenn er die Wahl anfangs auch ablehnte, da er durch seine Arbeit am päpstlichen Hof die Mühen dieses verantwortungsvollen Amtes nur zu gut kannte. Er setzte jetzt die Reform mit aller Energie durch und ging streng gegen die oben genannten Missstände der Priesterehe, der Simonie und der Laieninvestitur vor. Er ordnete an, dass jeder, der durch Simonie zu seinem Amt gekommen war, dieses Amtes verlustig gehen solle. Den Priestern verbot er zu heiraten und dem Volk, an Messen verheirateter Priester teilzunehmen. 

Hier sei nur kurz erwähnt, dass die Verpflichtung zur Ehelosigkeit den Klerikern nicht etwa erst jetzt auferlegt wurde. Sie bestand schon seit etwa siebenhundert Jahren und selbst davor lebten Priester schon ein zölibatäres Leben, ohne dazu verpflichtet zu sein.

Darauf wandte er sich gegen die Laieninvestitur, indem er erklärte, dass, wer eine Investitur von einem Fürsten annehme, abgesetzt sei. Der investierende Fürst solle mit der Exkommunikation bestraft werden. Auch der Kaiser oder König stellte für ihn hier keine Ausnahme dar. Er war in den Augen Gregors ein Laie wie jeder andere Fürst, der Kirche untertan und zum Gehorsam verpflichtet. Wenn dieser Schritt auch konsequent und vielleicht sogar notwendig war, so bedeutete er doch, dass das Königtum teilweise seinen sakralen Charakter verlor, den es seit Karl d. Gr. besessen hatte. 

Schon 1075 erließ er seinen Dictatus Papae, mit dem er praktisch das Verhältnis zwischen Papst und Kaiser umkehrte:

“Der Papst ist das höchste Haupt der Christenheit. Er kann nicht nur in die Rechte der Bischöfe eingreifen, sondern ist auf Grund seiner geistlichen Obergewalt auch über Könige und Kaiser gesetzt, die er sogar absetzen kann, wenn es aus religiös-sittlichen Gründen notwendig erscheint.” (Franzen, Kleine Kirchengeschichte, Herder 2000, 5.Auflage, S. 181) 

Die konsequente Verfolgung und Umsetzung dieser Prinzipien musste den Papst notwendigerweise in Konflikt mit dem König, damals Heinrich IV. (1056-1106), bringen.

Auch dieser hatte, entgegen dem Verbot des Papstes, auf simonistische Weise Bistümer vergeben. Auf der Fastensynode von 1075 drohte ihm daher der Papst an, dass er ihn bannen und ihm jegliches Recht bei der Bistumsbesetzung nehmen werde. Der König kümmerte sich nicht um die Bestimmungen des Papstes, sondern schaffte es im Gegenteil, die Bischöfe gegen Gregor aufzubringen und ihn für abgesetzt zu erklären. 

Darauf antwortete dieser mit der Exkommunikation des Königs. Ein unerhörtes Ereignis für die damalige Zeit: der König, der bisher die Funktion des Schutzherrn der Kirche erfüllt und sogar praktisch an ihrer Spitze gestanden hatte, war aus der Kirche ausgeschlossen. Mit der Exkommunikation des Königs entband Gregor auch dessen Untertanen ihrer Treue gegen ihn, und so sah sich dieser bald von seinen Fürsten verlassen. Sie stellten an ihn die Forderung, sich binnen eines Jahres mit dem Papst auszusöhnen. Wenn er das nicht tue, werde ihm sein Thron aberkannt und ein neuer König gewählt.

Da kam Gregor seinerseits Heinrich zu Hilfe und bot an, bis Lichtmess 1077 in Augsburg einen Reichstag abzuhalten und dort über Heinrich zu entscheiden. Löse er Heinrich dann vom Bann, könne dieser die Krone behalten, andernfalls gelte er als abgesetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt aber solle er sich zurückziehen und als Privatmann leben.

Heinrich fürchtete aber den Reichstag von Augsburg, musste er doch davon ausgehen, dass der Papst angesichts der Anklagen, die gegen ihn vorlagen, nicht umhin könne, die Exkommunikation zu bestätigen. Er beschloss daher, zum Papst nach Italien zu reisen. Ein schwieriges Unterfangen, da die deutschen Fürsten, die sich Heinrichs als ihrem Herrscher am liebsten entledigt hätten und daher eine Versöhnung zwischen König und Papst zu verhindern suchten, dem König die Alpenpässe verlegt hatten. Endlich fand Heinrich über den Mont-Cenis aber doch eine Möglichkeit, nach Italien zu gelangen.

Zu alldem kam, dass gerade Winter war, angeblich der kälteste des 11. Jahrhunderts. Die Königin und der Kronprinz mussten in Kuhhäute eingenäht und so über die Berge gezogen werden.

Gregor hatte sich indessen schon nach Augsburg aufgemacht Als er sich gerade bei Mantua aufhielt, hörte er vom Kommen des Königs und zog sich daher auf das feste Schloss Canossa zurück, das einer ihm wohlgesinnten Gräfin gehörte. Dort suchte Heinrich ihn auf. Dieser sein “Gang nach Canossa” wird großen Einfluss haben auf die weitere Entwicklung in der Geschichte des Papsttums und der Nachwelt unvergessen bleiben.

Als Heinrich nun vor den Mauern von Canossa erschien, wurde er vom Papst zunächst abgewiesen. Drei Tage, vom 26. bis 28. Januar 1077, tat er daher, nur mit einem Wollhemd bekleidet, in der Kälte vor Canossa Buße. Er beteuerte, dass er durch dieses Treffen der Entscheidung von Augsburg nicht vorgreifen wolle und bereit sei, sich der Entscheidung, die über ihn gefällt werden solle, zu unterwerfen. Wenn es von ihm gefordert werde, werde er die Krone niederlegen. Wenn er aber König bleiben dürfe, werde er den Papst bei seiner Kirchenreform unterstützen.

Gregor hielt Heinrichs Reue für echt und befreite ihn vom Bann. Wenn auch Heinrich aus dieser Lage anscheinend als Sieger hervorging, so hatte doch das Königtum einen Schlag erlitten, von dem es sich nie wieder richtig erholt hat.

Heinrich hatte sich nun mit dem Papst wieder ausgesöhnt. Die deutschen Fürsten aber waren mit der Entscheidung Gregors nicht einverstanden und wählten im März 1077 einen Gegenkönig, Rudolf von Schwaben. Zwischen den zwei Königen brach Bürgerkrieg aus. Auch Heinrichs Verhältnis zum Papst verschlechterte sich bald wieder, sodass dieser ihn 1080 ein zweites Mal bannte und absetzte. Daraufhin ernannte sich Heinrich einen Gegenpapst und zog mit seinem Heer gegen Rom. Gregor musste fliehen und starb 1085 in Salerno. 

Wenn der Papst auch besiegt zu sein schien, so hat er doch durch seine Entscheidungen der Entwicklung der Zukunft die Richtung gewiesen. Durch seine Vorarbeit gewann das Papsttum so sehr an Einfluss und wurde so sehr zur zentralen Macht des Abendlandes, dass “bereits zehn Jahre nach seinem Tode (…) Urban II in Ausführung eines schon von Gregor gefassten Planes der Führer des gegen den Islam marschierenden Europa“ sein wird (Lortz, Geschichte der Kirche, Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, 1950, S. 154). 

Auch nach Gregors Tod ging der Streit weiter. Man fand sich vor die Frage gestellt, was denn nun an die Stelle des Sakralkönigtums gesetzt werden solle.

Ein Nachfolger Gregors, Paschalis II., versuchte, sich mit König Heinrich V. dahingehend zu einigen, dass er vorschlug, die gesamte Verknüpfung von Kirche und Staat seit Karl d. Gr. komplett rückgängig zu machen. Die deutsche Reichskirche sollte ihren Besitz dem König zurückgeben. Dieser werde dafür auf jede Investitur, die ja dann sowieso überflüssig gewesen wäre, verzichten.

Dieser Lösungsversuch war in der Praxis nicht zu realisieren. Es war unmöglich, die Zustände des Altertums wiederherzustellen. Er traf auf geschlossenen Widerspruch der Fürsten und Bischöfe und wurde verworfen.

Endlich fand man im Wormser Konkordat 1122 einen Kompromiss: eine doppelte Investitur. Der König durfte dem Bischof die weltlichen Güter und Rechte übertragen, die geistliche Investitur verblieb der Kirche. Die Wahl der Bischöfe wurde also der Geistlichkeit, später ausschließlich dem Domkapitel überlassen. Erst nachdem der Bischof auf kanonische Weise gewählt und vom Papst in sein geistliches Amt eingeführt war (durch Übergabe von Ring und Stab), bekleidete ihn auch der König mit seinem weltlichen Amt bzw. belehnte ihn mit den weltlichen Besitzungen (durch Übergabe des Zepters). Trotzdem verblieb dem Kaiser bzw. dem König noch das Recht, bei der Wahl der Bischöfe anwesend zu sein und bei Uneinigkeit die Entscheidung zu geben. Wenn jemand dem Kaiser nicht genehm war, so konnte er kaum bis zur Weihe gelangen.

Auch dies war keine wirkliche Lösung. Das Feudalsystem und die damit verbundene Bindung der Kirche an den Staat, blieb das ganze Mittelalter hindurch und selbst bis zur Französischen Revolution bzw. bis zur großen Säkularisation 1803 bestehen, bestimmte also unsere Geschichte bis in die nahe Vergangenheit. An den Punkten, an denen sich die zwei Kräfte berührten, kam es immer wieder zu Reibung und Spannung. 

❸ Schauen wir auf Gregor VII., seine Reform und seine Zeit zurück, so vermitteln sie uns ein Bild des Mittelalters, das sehr verschieden ist von dem, was Menschen heute oft über diese angeblich so “dunkle” Zeit denken.

Es muss wohl zugegeben werden, wie ja auch oben schon angedeutet, dass gewisse Missstände in der Kirche herrschten. Priester brachen ihr Keuschheitsgelübde, “kirchliche Ämter wurden verkauft und gekauft, vermietet, der Herr gab sie seiner Tochter als Mitgift usw. Wie der große Herr sein Bistum, so verkaufte der kleinere Herr seine Pfarrei. Das Ergebnis waren ein unwürdiger Episkopat und ein unwürdiger Klerus.” (Lortz, 150)

Trotzdem muss man aber auch sehen, dass es Mönche, Kleriker, ja - wie in unserem Fall - ganze Parteien in der Kirche gab, die die Missstände gesehen und verurteilt haben und dagegen vorgegangen sind. Im hier behandelten 11. Jahrhundert, wohlgemerkt im Hochmittelalter, gab es nicht nur Päpste, die in Saus und Braus lebten, sondern es gab auch einen Gregor VII., um nur bei unserem Beispiel zu bleiben, der selber Mönch und von Reformeifer beseelt war und hart gegen die Unwürdigen unter seinen Bischöfen und Priestern vorging, indem er sie ihres Amtes enthob oder den Gläubigen verbot, bei verheirateten Priestern weiter zur Messe zu gehen. 

Wenn wir also die traurigen Zustände in der Kirche damals sehen, dann dürfen wir auch nicht vergessen, dass die Kirche selber, von höchster Instanz, diese Zustände missbilligt hat und dagegen eingeschritten ist.

Abschließend sei zur Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat, um die sich der Investiturstreit ja ganz wesentlich gedreht hat, noch ein modernes Zeugnis, das Papst Pius’ XI., angeführt. Dieser schrieb in seinem Rundschreiben “Quas Primas” vom 11. Dezember 1925:

“Anderseits würde derjenige sich schwer irren, der Christus als Mensch die Macht über alle zeitlichen Dinge absprechen wollte. Denn er hat vom Vater ein so unumschränktes Recht über alle Geschöpfe bekommen, dass alles seinem Willen unterstellt ist. (…)

So umfasst also das Reich unseres Erlösers alle Menschen, wie dies folgende Worte Unseres Vorgängers Leo XIII., unsterblichen Andenkens, ausdrücken und die Wir gerne zu Unsern eigenen machen:

´Seine Herrschaft erstreckt sich nicht nur auf die katholischen Völker (…) somit untersteht im vollsten Sinne die ganze Menschheit der Herrschaft Jesu Christi.´ (Leo XIII., Annum sacrum, 1899)

Auch ist in dieser Hinsicht kein Unterschied zu machen zwischen Einzelmenschen und häuslichen oder bürgerlichen Gemeinschaften, denn die in Gemeinschaften vereinigten Menschen stehen nicht minder unter der Herrschermacht Christi als die Einzelmenschen. Es gibt ja nur eine Quelle des Heiles, des persönlichen wie des gemeinschaftlichen:

´Es ist in keinem andern Heil; und kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, durch den wir selig werden sollten (Apg. 4,12).´”

Nach den Worten Pius’ XI. unterstehen also auch die “bürgerlichen Gemeinschaften”, sprich der Staat, der Herrschaft Christi. Wenn aber der Staat Christus untersteht, dann muss sich auch sein Haupt Christus unterordnen, denn nur von Gott und aus Gott lässt sich Autorität, auch die staatliche, legitimieren:

“Wenn daher die Staatenlenker Unversehrtheit ihrer Autorität sowie Gedeihen und Fortschritt des Vaterlandes bezwecken, so dürfen sie sich nicht weigern, in ihrem persönlichen Namen und mit ihrem ganzen Volke der Herrschermacht Christi ihre Verehrung und Ergebenheit öffentlich zu bezeugen. (…)

Denn was Wir zu Beginn Unseres Pontifikates (…) geschrieben haben, das gilt nicht weniger für die Gegenwart:

´Hat man Gott und Jesus Christus aus der Gesetzgebung und der Politik hinausgewiesen und leitet man die Autorität nicht mehr von Gott her, sondern von den Menschen, dann fehlt den Gesetzen ihre wahre und wirksame Sanktion, dann fehlen ihnen die höchsten Kriterien des Rechtes (…); ja sogar die Grundlage der Autorität ist zerstört in dem Augenblick, da man die Quelle verschüttet, aus der den einen das Recht zufließt zu befehlen, den andern die Pflicht zu gehorchen. So musste mit unerbittlicher Notwendigkeit das ganze Gesellschaftsleben erschüttert werden; es war eben jeder festen Stütze und jedes Schutzes beraubt und wurde ein Tummelplatz für die Parteien; diesen aber ist es nur zu tun um den Besitz der Macht, nicht um das Wohl des Vaterlandes´ (Pius XI, Ubi arcano, 1922).“ 

Es ist also zum Nutzen des Volkes und der Staatsoberhäupter selber, wenn letztere sich Christus unterstellen. Dann erhält die Autorität “das Recht zu befehlen” und der Staatsbürger “die Pflicht zu gehorchen“. Autorität ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie die Sache Christi vertritt, wenn sie für Christus die Gemeinschaft führt und leitet. Letzteres bedeutet auch, dass sie für Christus Recht sprechen muss. Dafür muss sie aber ihr Recht auch an dem Recht Christi, den 10 Geboten Gottes und den sittlichen Lehren des Evangeliums, orientieren. Unser ganzes Leben soll bestimmt und geleitet sein vom Gesetz Gottes. Alles, was wir tun, soll in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes getan sein. Daher müssten auch die Gesetze des Staates, die ja das Leben der Menschen regeln, dem Willen Gottes entsprechen. 

Vor seiner Himmelfahrt sprach Jesus zu seinen Aposteln:

“Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. So geht denn hin und macht alle Völker zu Jüngern, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie alles halten lehrt, was ich euch geboten habe. Seht, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.” (Mt.28,18) 

Geht man also davon aus, dass Jesus mit diesen Worten die katholische Kirche, und nur sie allein, eingesetzt hat, sein Werk der Erlösung bis ans Ende der Zeiten fortzuführen und den Menschen seinen Willen kundzutun, dann ergibt sich daraus, dass Kirche und Staat nicht vollkommen unabhängig voneinander existieren können.

Genau das ist aber in der heutigen westlich-liberalen Welt das Ideal: Ein Staat, der seine Gesetze allein nach der Meinung der Mehrheit ausrichtet, unabhängig davon, ob sie dem sittlich Guten, das unveränderlich ist, dem Willen Gottes, entsprechen. Das Ideal des Staates sollte eben nicht sein, unabhängig von spezifisch christlichen Werten zu sein, sondern dem absoluten Guten (welches letztendlich in der Lehre Christi allein zu finden ist!) zu Sieg zu verhelfen und seine Bürger dazu anzuleiten. 


P. Johannes Heyne

 

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