Die Anbetung Gottes


Liturgiegeschichtlicher Hintergrund

Anfang der 80-er Jahre erschien ein Buch1 eines französischen Priesters, in dem er die Liturgische Bewegung in der katholischen Kirche von ihrem Entstehen bis in die Gegenwart hinein verfolgt und beleuchtet. Das Ziel der Gründers dieser Bewegung, des Dom Guéranger, der auch die Französische Benediktinerkongregation von Solesmes begründete, war, daß der Klerus und das Volk nach einer Zeit der Krise, in der die liturgische Frömmigkeit schwer gelitten hatte, lerne, die Römische Liturgie immer mehr zu kennen und zu lieben. Die Liturgische Bewegung hatte anfangs die edle Absicht, dem Volk die überreichen Schätze der Heiligen Messe nahe zu bringen, damit die liturgische Frömmigkeit zum Ruhm Gottes und zum Wohl der ganzen Kirche neu erblühe. 

Dabei ging es Dom Guéranger keinesfalls darum, die Liturgie irgendwie zu verändern oder sie umzukrempeln. Ebenfalls lag es ihm fern, sie neu oder anders zu interpretieren! Nein, sie sollte in der Gestalt, wie sie war, erhalten bleiben und zum geistigen Wohl des Klerus und der Gläubigen gelebt und praktiziert werden. Obwohl die Liturgie zweifelsohne auch einen großen formenden und erzieherischen Charakter besitzt, ist sie dennoch in erster Linie als der höchste Kult betrachtet worden, der Gott erwiesen wird und erwiesen werden kann. Sie gereicht v.a. zur Ehre, Verherrlichung und Anbetung des allmächtigen und barmherzigen Gottes! Dadurch wirkt sie sich natürlich u. a. auch zum Wohl des ganzen gläubigen Volkes aus. 

In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts schlich sich aber in die Liturgische Bewegung allmählich die Tendenz ein, die Heilige Messe verstärkt in pastoraler Hinsicht zu verstehen. Man sah in ihr immer mehr eine vorzügliche Katechese, mit der man das Volk erziehen könnte und sollte. Die Betrachtungsweise der Liturgie wandelte sich vom höchsten Kult, der Gott (!) erwiesen wird, zum Anschauungsunterricht für das Volk. Nunmehr wurde das Gewicht überwiegend darauf gelegt, weniger Gott zu verherrlichen als das Volk anhand der Liturgie im Glauben zu unterrichten. Und diese Gewichtsverschiebung war der Knackpunkt der ganzen Liturgischen Bewegung, der für ihren darauf folgenden argen Niedergang als verantwortlich zu betrachten ist. Zwar kann und soll das Heilige Meßopfer auch als ein vorzügliches pastorales Mittel eingesetzt werden, wodurch das Volk im Glauben unterrichtet wird, aber nicht schwerpunktmäßig. Es darf unter keinen Umständen zu einem bloßen Mittel zu Unterrichtszwecken degradiert werden. Man darf nicht vergessen, daß die Liturgie vor allem anderen ein öffentlicher Kult zur Verehrung und zum Lobpreis Gottes ist! Und bei dieser verhängnisvollen Gewichtsverlagerung in der Betrachtungsweise der Heiligen Messe ist es nicht geblieben. Sie war nur der Beginn und ein vorübergehendes Stadium im Prozeß des Zerfalls der Liturgie und des Liturgiegedankens. Dieser Prozeß ging weiter und gelangte (heute) an dem Punkt an, daß in der Liturgie nur noch ein bloßes Mahlgeschehen gesehen wird, das rein symbolischen Charakter besitzt! Der eigentliche verhängnisvolle Fehler ist aber vor mehreren Jahrzehnten gemacht worden. Damals hatte man den Liturgiegedanken in unzulässiger Weise „umgepolt“, die weitere Entwicklung kann fast nur als eine notwendige Folge angesehen werden. 

 

Der Zweck der Schöpfung

Wenn wir nach dem Zweck der Liturgie fragen, müssen wir auch nach dem Zweck der Schöpfung fragen. Wozu hat denn Gott den Menschen und die ganze Welt erschaffen? Die gesamte (geistlose) Kreatur ist um des Menschen willen da, sie soll ihm von Nutzen sein (vgl. Gen 1,26.28-30). Der Mensch selbst soll aber letztendlich an der Herrlichkeit Gottes Anteil haben und sich in alle Ewigkeit der beseligenden Gegenwart Gottes erfreuen! Das Wesen der Liebe, der Liebe Gottes, ist, sich auszuströmen, sich auszugießen, alles andere mit ihren Armen zu umfassen: „die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen (worden) durch den Heiligen Geist, der uns verliehen wurde“ (Röm 5,5)! Die gesamte Schöpfung sollte in diese Liebe des Heiligen Gottes einbezogen werden. 

Wenn sich der Mensch in der Liebe Gottes wirklich allumfassend geborgen weiß, dann stimmt er von selbst ein Loblied auf die Herrlichkeit Gottes an. Denn der Lobpreis Gottes ist die höchste und erfüllendste Beschäftigung, der eine vernünftige Kreatur nachgehen kann! So sind die Engel des Himmels (auch die erlösten Seelen) mit nichts anderem beschäftigt, als Gott ohne Unterlaß ein Loblied zu singen (vgl. Is 6,3; Apg 4,8; 5,12-14). Sich Gottes zu erfreuen und Ihn anzubeten wird nie in alle Ewigkeit auf den Menschen (geistig) ermüdend wirken, sondern stellt die höchste Glückseligkeit dar! Nun aber hat der Mensch seine ihm von Gott gegebene Bestimmung nicht erfüllt, er hat sich in Freiheit gegen Gott versündigt, indem er sich über Dessen heiligen Willen gesetzt hatte. Dadurch ist ein Defekt, ein Hindernis aufgetreten, das die Absichten Gottes, die Er mit der Erschaffung des Menschen verbunden hatte, grundsätzlich nicht realisieren läßt. Denn niemand kann sich Gott nähern, der sich nicht im Stande der Gnade, der sich in der Gottesferne befindet! 

Um den ursprünglichen Zweck der Schöpfung doch realisieren zu können, mußte Gott selbst Mensch werden und die Last und den Fluch der Sünden der Menschheit stellvertretend tragen und dadurch auch sühnen! Denn außer des schuldlosen Lammes (außer Gott selbst) kann niemand den Frieden zwischen Ihm und den Menschen wiederherstellen. Und aufgrund der selbstlosen Ganzhingabe Jesu Christi hat Gott „die Schuldschrift, die uns mit ihrer Anklage belastete, ausgelöscht und vernichtet, da Er sie ans Kreuz heftete. Er hat die Mächte und Gewalten entwaffnet, offen an den Pranger gestellt und durch Ihn (Christus) über sie triumphiert“ (Kol 1,14f.). 

Das Hindernis der Sünde, das allein durch seine Existenz den allumfassenden und eigentlichen Lobpreis Gottes durch die Menschen vereitelte, ist nun behoben worden. Durch das Erlösungsopfer unseres Heilandes ist dieser Lobpreis und die Anbetung „in Geist und Wahrheit, ... (wie sie) der Vater haben will,“ (Joh 4,23) wie zur Zeit vor dem Sündenfall wieder ermöglicht worden! Da sich nun die Menschen durch das eigene Ergreifen der rettenden Hand Gottes aus dem Sumpf der Gottesferne befreien lassen können, bekommen sie wieder die Möglichkeit, an der Herrlichkeit und dem (geistigen) Licht Gottes Anteil zu erhalten! 

 

Das höchste Lobopfer!

Wenn nun in der Heiligen Messe das Heilswirken Gottes Einzug in die Gegenwart hat, und das göttliche Opferlamm geschlachtet und geopfert wird, dann offenbart sich hier die Herrlichkeit Gottes immer wieder aufs neue, und zwar ganz real! Denn die unendliche Erlöserliebe Gottes zum Menschengeschlecht war der Beweggrund und die „Antriebsfeder“ für die sich selbst verzehrende Hingabe unseres Hohepriesters am Stamme des Kreuzes. Und diese selbstlose Liebe Gottes wird durch den besonderen Charakter der Liturgie im Heiligen Meßopfer nicht bloß rein gedanklich (so die moderne Auffassung), sondern real vergegenwärtigt! Erinnern möchten wir an die wunderbare Sekret vom 9. Sonntag nach Pfingsten, wo es heißt, daß „ja das Werk unserer Erlösung vollzogen wird, so oft man das Gedächtnis dieses Opfers feiert“. Und da diese Liebe am tiefsten Gottes (geistige, sittliche) Oberhoheit und Größe zum Ausdruck bringt, offenbart Gott in der Heiligen Messe jedes Mal von neuem Seine Heiligkeit und Seine alles überragende Herrlichkeit! „Gott aber erweist Seine Liebe zu uns dadurch, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren“ (Röm 5,8).

Indem nun die Kirche dieses göttliche Opfer darbringt, wird dadurch Gott in bestmöglichster Weise verherrlicht und angebetet. Denn nicht spricht Er hier im Heiligen Meßopfer (nur) von Seiner Heiligkeit und unendlichen Liebe oder gibt verbal eine entsprechende Absichtserklärung ab. Nein, Er lebt hier Seine göttliche Herrlichkeit und offenbart sie hier in der Tat! Die Himmelsbewohner beten den Herrn letztendlich deswegen an, weil Er „heilig“ ist. Und diese Seine Heiligkeit hat Er der Schöpfung gegenüber v.a. dadurch zum Ausdruck gebracht, daß Er „geschlachtet worden ist und uns durch Sein Blut losgekauft hat für Gott aus allen Stämmen und Sprachen, Völkern und Nationen“ (Apg 5,9). So offenbart Er in der Heiligen Messe ununterbrochen Seine Heiligkeit der ganzen Welt durch dieses selbstlose Aufopfern Seiner eigenen Person! Wenn wir in der Liturgie der Kirche das Erlösungswerk Jesu Christi tatsächlich begehen, wenn hier Seine tätige Liebe aktuell wirksam wird, dann ist die Heilige Messe nicht nur das wirksamste Sühn- und Bittopfer, sondern auch das höchste Lob- und Dankopfer. Denn in ihr gewinnen die Glieder der Kirche, des Mystischen Leibes Christi, u. a. auch einen realen Anteil am ewigen himmlischen Lobpreis des einen wahren Gottes! Nicht umsonst verdeutlicht die Kirche durch ihren feierlichen „Heilig, heilig, heilig“-Gesang die Anwesenheit des ganzen himmlischen Hofes bei der auf Erden gefeierten Liturgie. 

Aus diesem Grund gereicht Gott das Opfer des Altares zu Seinem höchsten Ruhm, deshalb wird Er hier in intensivster Weise gelobt und verherrlicht. Wenn sich Christus im Meßopfer Seinem himmlischen Vater zu unserem Heil darbringt, dann dient es Gott in ausgezeichnetster Weise zum Lobpreis und zur Verherrlichung. Intensiver können wir Gott nicht loben als mittels der Liturgie. Deshalb ist die Heilige Messe das höchste Lobopfer2 (Opfer des Lobes), das Gott je dargebracht wurde bzw. je dargebracht werden kann! „´Das Lamm, das geschlachtet wurde, ist würdig, zu empfangen Macht, Reichtum, Weisheit, Kraft, Ehre, Preis und Lob.´ Und die ganze Schöpfung im Himmel, auf Erden, unter der Erde und auf dem Meere, alles, was darin ist, hörte ich singen: ´Dem, der auf dem Throne sitzt, und dem Lamme gebührt Lob, Ehre, Ruhm und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit´“ (Apg 5,12f.)! 

 

P. Eugen Rissling



1 Bonneterre, D., Die Liturgische Bewegung. Mediatrix-Verlag, 1981.
2 Beim Gedächtnis der Lebenden im Kanon der Römischen Liturgie

 

 

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