Konkrete Liebe Gottes


Wir, Menschen, sind alle mit einer ganz bestimmten Verfaßtheit erschaffen worden. Diese unsere Grundbeschaffenheit äußert sich unter anderem auch darin, dass wir bestimmte Wünsche, Interessen oder Sehnsüchte haben, die uns allen mehr oder weniger eigen sind und somit auch zu den Eigentümlichkeiten unseres menschlichen Wesens gezählt werden können. 

Dabei ist es nicht so, dass wir dieser Eigenheiten der menschlichen Natur auch unbedingt immer gewahr werden müssen, nicht selten können sie auch ohne weiteres in unserem Unterbewußtsein verbleiben. Wenn aber entweder bestimmte kritische Situationen oder starke persönliche Erlebnisse auftreten, kann der Mensch beim aufmerksamen Beobachten seiner eigenen Willensregungen und Gefühle auch diese menschliche Grundverfaßtheit eindeutig erkennen. In gewisser Weise “bricht” dann das im Unterbewußtsein Vorhandene zur Oberfläche der klaren Erkenntnis durch. So ist wohl jeder der Mensch unter anderem auch als ein praktisches Wesen zu definieren, ob er nun dies erkennt oder nicht. Das heißt, dass er alles, was für ihn von Belang und von Bedeutung ist, möglichst selbst erleben und erfahren will. Es reicht uns nicht aus, dass uns jemand zum Beispiel von der Schönheit der Freundschaft oder der Liebe bloß erzählt, ohne dass wir selbst entsprechende Erfahrungen machen. Innere Erfüllung stellt sich bei uns nicht schon durch das Hörensagen, durch Berichte anderer Menschen ein, sondern letztlich erst durch eigenes persönliches Erleben dieser oder anderer sittlichen Werte. 

Ebenfalls geben wir uns kaum damit zufrieden, uns lediglich mit der Erinnerung an einst Erlebtes zu begnügen. Zwar erinnern wir uns mit Freude an frühere positive Erlebnisse. Weil aber jeder Augenblick im nächsten Moment bereits zur Vergangenheit gehört, und weil wir eigentlich immer nur in der jeweiligen neuen Gegenwart leben und uns darin entscheiden, streben wir im Prinzip immer danach, die positiven Erlebnisse (mehrmals!) zu wiederholen und in dieser jeweils neuen Gegenwart zu aktualisieren. Wer trifft sich nicht immer wieder gern mit seinem Freund? Wer ist nicht daran interessiert, den geliebten Menschen in seiner Gegenwart zu wissen? Denn Freundschaft und Liebe aus der Entfernung sind nicht identisch mit einer persönlichen Begegnung.

Und dieses praktische Element des menschlichen Wesens, die Sehnsucht nach persönlichem und jeweils aktualisiertem Erleben erfüllender sittlicher Werte, gilt nicht nur im Hinblick auf unsere Beziehung zu den Mitmenschen, sondern auch in unserer Ausrichtung auf den Herrgott! Als unser Schöpfer kennt Er ja die menschliche Natur (als einziger) durch und durch. Deshalb hat Er sich nicht bloß damit begnügt, uns etwa durch Mittelsmänner Seinen heiligen Willen kundzutun. Um Seinem Volk ganz nahe zu sein, ist Er selbst Mensch geworden “und hat unter uns gewohnt” (Joh 1,14)! 

Zwar kann im Prinzip jeder Mensch zu jeder Zeit und an jedem Ort im Gebet die Verbindung mit dem lieben Gott aufnehmen. Dennoch ist es etwas ganz Besonderes, Ihm in Seiner konkreten menschlichen Gestalt zu begegnen. Warum sind denn sonst die Schaaren Jesus Christus massenweise nachgelaufen, um Seine Worte zu hören und Seinem (Heils-)Wirken beizuwohnen (vgl. Mt 8,1; Lk 6,17ff.; Joh 6,2)? Dabei hat Er nicht von Seiner grenzenlosen Liebe zum Menschengeschlecht etwa nur geredet, sondern sie während Seines gesamten Aufenthaltes auf Erden in praktischer Weise gelebt, um unter anderem auch dem Streben der Menschen nach der Begegnung mit der vollkommenen Liebe, die nur Gott ist und bieten kann, zu entsprechen. Und den absoluten Höhepunkt dieser (höchst praktischen) Liebe Gottes bilden Sein bitteres Leiden und Sein schmerzlicher Tod am Kreuze, die Er stellvertretend für die Schuld der Menschen vor Gott freiwillig auf Sich genommen hat! Und die junge Kirche hat diese einmalige und herausragende Bedeutung des stellvertretenden Leidens Jesu Christi erkannt. Immer wieder weisen die Apostel darauf als auf den Kern des christlichen Glaubens hin (vgl. Röm 5,10; Kol 1,22; Hebr 9,15). Mit diesem Kreuz Christi steht und fällt somit der ganze christliche Glaube! 

Und an dieser Stelle erkennen wir besonders deutlich die ganze Tragweite sowohl jener Handlung selbst, die Jesus am Vorabend Seines Leidens im Abendmahlssaal vollbracht hat, die hl. Messe, als auch des Auftrages an Seine Apostel, diese heilige Handlung zu wiederholen: “Tut dies zu Meinem Andenken” (1 Kor 11,24). Jesus Christus hat nicht nur jenen Seiner Zeitgenossen, die das außergewöhnliche Glück und Privileg besaßen, Ihm in Seiner leiblichen Gestalt zu begegnen, Seine göttliche Liebe kundgetan. Durch das hl. Meßopfer will Er mit derselben überschwänglichen Liebe auch jeden anderen Menschen, der auf dieser Welt weilt, konkret erreichen. 

Denn indem der menschliche Priester das hl. Opfer des Altares feiert, bringt sich der göttliche Hohepriester selbst Seinem himmlischen Vater “als Lösepreis für viele” (Mt 20,28) dar. Raum und Zeit werden gewissermaßen durchbrochen, der christliche Altar wird zu Golgotha, der Liebesbeweis unseres Erlösers am Kreuz wird im Opfergeschehen der eucharistischen Liturgie vergegenwärtigt: “Denn sooft ihr dieses Brot eßt und diesen Kelch trinkt, feiert ihr den Tod des Herrn, bis Er wiederkommt” (1 Kor 11,26)! Hier wohnt ein gläubiger Mensch nicht bloß einer rein äußerlichen kirchlichen Zeremonie bei, hier entfaltet nicht nur ein menschlicher Priester seine Aktivitäten. Nein, hier, beim Vollzug der hl. Liturgie, entwickeln sich die betreffenden menschlichen Handlungen des Priesters ihrem Wesen nach zu einem heiligen göttlichen Geschehen, zur sakramental-vergegenwärtigten Liebeshingabe unseres göttlichen Erlösers Jesus Christus am Kreuz! 

Und dies alles geschieht inmitten der zum Gottesdienst versammelten Gläubigen, in der räumlichen wie zeitlichen Gegenwart des gläubigen Volkes! Mit anderen Worten: hier besitzt jeder Mensch gläubigen Sinnes nicht nur die Gelegenheit - ähnlich wie die Muttergottes und die frommen Frauen, die unter dem Kreuze ausharrten -, konkret und höchst aktuell Zeuge der überschwänglichen Liebe Jesu Christi zu werden, sondern darüberhinaus auch die Möglichkeit, dieselbe sich verströmende und verzehrende göttliche Liebe persönlich zu erfahren und zu erleben! 

Ein Protestant, der ja diesen übernatürlichen Charakter der hl. Messe bestreitet, beschränkt sich gewissermaßen darauf, seine Informationen über die heilsgeschichtliche Erlösungstat Jesu Christi lediglich vom Hörensagen her zu beziehen, sich mit dem Bericht anderer Menschen von diesem zentralen historischen Ereignis zu begnügen. 

Ein Katholik dagegen weiß darüberhinaus in gewissem Sinn auch aus eigener und persönlicher Erfahrung davon zu berichten. Er weiß, dass der Herr uns Seine göttliche und uns beseligende Liebe nicht nur irgendwie aus der zeitlichen wie räumlichen Distanz schenken will, sondern intensivst daran interessiert ist, sie uns konkret und aktuell, sozusagen am eigenen Leib zukommen zu lassen. Somit ist auch jene Prophezeiung des Propheten Malachias in Erfüllung gegangen, die auf das neutestamentarische liturgische Opfer verweist: “Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang wird Mein Name groß sein unter den Völkern, und überall wird Meinem Namen geopfert und ein reines Speiseopfer dargebracht” (Mal 1,11)! 

 

P. Eugen Rissling

 

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